Der Meister-Confiseur
Raymond Bachmann erblickte 1936 das Licht der Welt, drei Jahre vor dem Zweiten Weltkrieg, in einer Zeit, da es an vielem mangelte. Als Sprössling einer Bäckerfamilie mit Ursprung in Sursee trat er in die Fussstapfen seines Vaters Hans und übernahm in den Sechzigerjahren den Familienbetrieb. Damals mit einer Produktionsfläche von 300 Quadratmetern und 15 Angestellten. Heute führen seine beiden Söhne Matthias und Raphael das Familienunternehmen Bachmann AG. Die Firma produziert auf einer Fläche von über 10 000 Quadratmetern und beschäftigt über 540 Mitarbeitende in 19 Fachgeschäften.
Der Blick nach hinten war im Grunde nie sein Ding. Raymond Bachmann ist und bleibt ein Mann, der lieber nach vorne schaut. Das hat er schon immer getan. Für unser Magazin blickt er dennoch gerne zurück. Als er 1965 im Wesemlinquartier die Bäckerei-Konditorei Bachmann von seinem Vater Hans übernahm, stiess er schnell an Kapazitätsengpässe in der Produktion von Backwaren und Confiserie-Leckereien. Im Laufe der nächsten Jahrzehnte entwickelte er mit seinem ausgeprägten Gespür für Trends den Familienbetrieb zu einem florierenden Unternehmen, dessen Führung er 1997 seinen beiden Söhnen übergab. Doch der Reihe nach.
Ursprung in Sursee
Die Unternehmenschronik der Bachmann-Dynastie beginnt 1897. Damals betrieb der Grossvater des Maître Confiseurs Raymond Bachmann, Anton, die Bäckerei an der Suhr in Sursee und setzte damit den Grundstein für die Zukunft. Sein Sohn Hans setzte die Familientradition mit der Übernahme der Wesemlinbäckerei im Jahre 1934 fort. Unter seiner Führung entwickelte sich das Unternehmen weiter. 1962 übernahm Raymond die Confiserie von Wendelin Baumann im Hotel Monopol beim Luzerner Bahnhof, und 1965 kam die Übernahme der Wesemlinbäckerei von seinen Eltern dazu. In seinen jungen Jahren war Raymond noch unschlüssig bezüglich seiner beruflichen Zukunft und so musste er – wohl oder übel – in die Kantonsschule, erinnert er sich an seine Teenagerzeit. «Es vergingen drei Jahre, aber dann wusste ich es genau. Ich wollte in die Fussstapfen meines Vaters treten und den Bäckerberuf erlernen.» Kurz entschlossen schickte ihn sein Vater in die Bäckerlehre nach Schaffhausen und zahlte das damals übliche «Lehrgeld» von jährlich 300 Franken für die Ausbildung seines Sohnes. Diese Investition hat sich gelohnt, wie sich später erweisen sollte. Der junge Raymond musste in aller Herrgottsfrühe ans Werk, ging jeweils am Montag um 9 Uhr zur Schule und arbeitete sechs Tage die Woche. Manchmal gar sonntags, wenn es darum ging, die in Dampf gebackenen Pumpernickel-Brote nachmittags punkt vier Uhr aus dem Ofen zu ziehen. Als ehemaliger Kantischüler war er in der Gewerbeschule oft unterfordert und so glänzte er nicht selten durch Abwesenheit, was ihm ein paar Rüffel eintrug, wie er sich heute gerne erinnert. Nach der erfolgreich absolvierten Lehre zog es ihn nach Genf in die renommierte Confiserie Hans Rohr. Das schärfte seinen Sinn für die süsse Seite des Bäckerberufs. Fortan entwickelte er sich zu einem fast schon «fanatischen» Confiseur, was sich für die weitere Entwicklung des Familienbetriebs als förderlich erwies.
«Mir uf em Wäsmeli»
Die ersten Erfahrungen als junger Confiseur machte Raymond Bachmann in Basel bei seinem Onkel in der Confiserie Bachmann und in der Confiserie Honold in Zürich auf dem Tortenposten. Dazwischen kamen die Pflichten in der Schweizer Armee. Bevor er in den Betrieb seines Vaters einstieg, machte der aufstrebende Confiseur seine ersten Gehversuche als eigenständiger Unternehmer in der Backstube an der Hirschmattstrasse, mit bereits fünf Angestellten. Im Geschäft neben dem Bahnhof gab es viele Kundenwünsche für den Schokoladenversand in die USA. In der damaligen Zeit ein erträgliches Geschäft und wohl der Auslöser für spätere internationale Engagements in der Confiseriewelt. 1965 übernahm Raymond den Familienbetrieb, der damals 15 Angestellte beschäftigte und auf einer Fläche von 300 Quadratmetern produzierte. Raymond Bachmann gründete mit weiteren Geschäftsinhabern aus dem Quartier die Vereinigung «Mir uf em Wäsmeli», so etwas wie eine Mini-City-Organisation, die mit Informationsbroschüren und Events Werbung in eigener Sache betrieb – eine Art von Marketing, die zu dieser Zeit selten war. Das zeigte Wirkung. Bald sah sich der umtriebige Unternehmer mit Kapazitätsengpässen konfrontiert. Als Überbrückung stellte er kurz entschlossen eine Tiefkühlzelle im Garten auf. Ebenso erweiterte er die Produktionsfläche mit einem kleinen Anbau. Dieses Provisorium hielt ein paar Jahre, bis er es abreissen musste. Der frischgebackene Unternehmer eröffnete in der Rössligasse die erste Bachmann-Filiale. Als am 5. Februar 1971 ein Grossbrand den Luzerner Bahnhof zerstörte, wurde der Betrieb mit einem ausgebauten Provisorium aufrechterhalten. Hier witterte Raymond Bachmann seine Chance und errichtete in seiner typischen Entschlossenheit ein Bäckerei-Provisorium mitten im Pendlerstrom. Seither hat Bachmann den Bahnhof nicht mehr verlassen und damit eine weitere wichtige Basis für den kommenden unternehmerischen Erfolg geschaffen.
Nebenbei strich er die Fassade seines Betriebsgebäudes im Wesemlin-Quartier in grellem Pink, ohne komplizierte Bewilligung. Auslöser für diese farbliche Extravaganz, wie es Raymond Bachmann nennt, war der Luzerner Grafik-Künstler Hans Blättler, der damals die Werbung für Bachmann kreierte. Zu der Zeit war die Farbe rosa eher in der Kosmetikbranche üblich. Bäckereien waren im Auftritt vorwiegend zurückhaltend. Nicht so Raymond Bachmann, der kurzerhand die Corporate Color Pink in sein Unternehmen einführte und an seinem vierzigsten Geburtstag alle Gäste in dieser Farbe zum Fest auffahren liess. Das war 1976. Drei Jahre später beschäftigte er bereits 110 Mitarbeitende. Der Platz wurde definitiv zu knapp. Im Tribschenquartier, dem heutigen Produktionsstandort des Unternehmens, wurden rund 3000 Quadratmeter frei, die für die geplante Universität Luzern reserviert waren. Das Luzerner Volk aber entschied sich 1978 nach einem emotional geführten Abstimmungskampf mit einem Nein-Anteil von über 60 Prozent gegen die Errichtung einer Universität. Damit war der Weg frei für die Expansion der aufstrebenden Firma. Raymond Bachmann erinnert sich, dass ihm damals viele davon abrieten, diesen Sprung zu wagen. Zu gross schien das Risiko, zu unsicher die Zukunft, zumal der Druck auf traditionelle Bäckereibetriebe mit der Konkurrenz der grossen Detailhändler rasant stieg. Er blieb aber seiner Linie treu, schaute vorwärts und packte die Chance beim Schopf: «Wir arbeiteten am Samstag, 30. August, bis 10 Uhr in der alten Backstube. Übers Wochenende verschoben wir alle Maschinen und am Montag, morgens um 2 Uhr, produzierten wir bereits im neuen Betrieb.» Sein Vater Hans erlebte diesen wegweisenden Umzug leider nicht mehr. Er verstarb im Januar 1980.
Die richtige Nase
Die Erfüllung hat Raymond Bachmann stets in der Arbeit gefunden. Die Confiserie ist und bleibt seine Leidenschaft. Dennoch fand er Zeit, sich als Zunftmeister der Zunft zu Pfistern und Vorstandsmitglied des Konditor- und Bäckermeisterverbandes zu engagieren. Nach seiner Lehre habe er «seine Seele im Beruf entfalten können», er habe – abgesehen von vereinzelten Weiterbildungskursen in Management – sein Wissen vor allem bei der Arbeit erworben. Sein ausgeprägtes Flair für Trends und sein Mut für unkonventionelle Aktionen haben den Weg zum unternehmerischen Erfolg geebnet. 1985 schloss er einen Vertrag mit der US-amerikanischen Nobelwarenhauskette Neiman Marcus für die Lieferung von jährlich acht Tonnen Pralinés. Zum 10-Jahr-Jubiläum des Shopping-Centers Emmen liess er 1986 die grösste Geburtstagstorte der Welt backen. Die gigantische Torte mit 18 Etagen über alle drei Stockwerke des Gebäudes schaffte den Eintrag ins Guinnessbuch der Rekorde und wurde von 12 000 Kunden verspiesen. 1997, nach 32 Jahren an vorderster Front als unternehmerische Treibkraft, übergab er ein solides Unternehmen mit über 250 Mitarbeitenden an seine beiden Söhne Matthias und Raphael. Noch heute, mit 83 Jahren, ist er oft im Geschäft, ist mit Rat und Tat zur Stelle, wenn er danach gefragt wird. Rückblickend sagt Raymond Bachmann: «Es war eigentlich nie unsere Zielsetzung, ein so grosser Betrieb zu werden. Die erkannten Chancen und die Nachfragen aus unserem Netzwerk haben unsere Entwicklung geprägt. Auch unsere tüchtigen Mitarbeitenden waren mitbestimmend.» Mit seiner Frau Margrith hat er im Laufe seiner Karriere zahlreiche Kontakte quer durch die Welt gepflegt – von Belgien bis nach Spanien, von Japan bis nach Amerika. Jetzt haben seine Frau und er Zeit zum Reisen und die fünf Grosskinder zu verwöhnen. Stolz ist Raymond Bachmann vor allem auf seine beiden Söhne, die heute das Unternehmen zusammen erfolgreich leiten. Aber das ist eine andere Geschichte.