Wir müssen gross denken

Wie baut man während zehn Jahren mitten in einer Stadt, die täglich brummt?
Und wie viel Fläche wird frei für Neues?
Stadtplanerin Deborah Arnold weiss Antworten.

TEXT Bruno Affentranger

STADTSICHT: Deborah Arnold, werden wir in den kommenden Jahrzehnten mit dem Durchgangsbahnhof Zeuge eines historischen Ereignisses?
Deborah Arnold: Ja, das werden wir. Wir stehen vor einem Eingriff in eine gebaute Stadt, wie wir ihn in Luzern noch nie gesehen haben. Die Dimensionen der Planungs- und Bauzeit und die Auswirkungen des Durchgangsbahnhofs sind immens.

Was verändert sich konkret?
Die Verkehrsströme werden sich total verändern. Dies hat Auswirkungen darauf, wie wir die Stadt erleben und weitergestalten. Zudem werden Gleisflächen frei, die anders genutzt werden können. Mit dem Projekt Durchgangsbahnhof eröffnen sich grosse Chancen mitten in der Stadt.

Meinen Sie mit sich verändernden Verkehrsströmen die Linienführung der Eisenbahn?
Nicht direkt. Der Durchgangsbahnhof mit der neuen Linienführung ist ein Schlüsselprojekt, um die Mobilität der Zukunft bewältigen zu können. Für die Stadtplanung ist dabei entscheidend, dass mit dem Durchgangsbahnhof die Zahl der Passagiere gegenüber heute um siebzig Prozent zunehmen wird. Künftig werden mehr als 200 000 Menschen täglich den Durchgangsbahnhof frequentieren. Sie alle müssen zum Bahnhof gelangen oder von dort wieder durch die Stadt weggeführt werden.

Wie gross ist die Gleisfläche, die wegen des Durchgangsbahnhofs frei wird?
Wir gehen von rund acht Hektaren aus. Dies entspricht 16 Fussballfeldern.

Von welchen Bereichen sprechen wir?
Der Güterbahnhof und die Rangierflächen sollen an einen anderen Standort ausserhalb der Stadt verlegt werden. Das heisst, bei der Rösslimatt wird eine grosse, zusammenhängende freie Fläche entstehen. Kleinere Flächen befinden sich entlang der Neustadtstrasse und entlang der Brünigstrasse.

Sie sind Stadtplanerin von Luzern. Welche Aufgabe sehen Sie für sich im Zusammenhang mit der Planung und dem Bau dieses Jahrhundertwerks?
Unsere Aufgabe ist es, die Zusammenhänge und Abhängigkeiten zu erkennen, die sich in diesem gigantischen Projekt ergeben und daraus ein Zukunftsbild zu erarbeiten. Zentral ist dabei der Einbezug der Partnerinnen und Partner und der Öffentlichkeit.

Ist diese Projektgrösse ein Geschenk oder eine Bürde?
Ein solches Jahrhundertprojekt ist eine riesige Chance für die Stadtplanung. Im Moment sind wir daran, das Vorgehen zu definieren, wie wir zum erwähnten Zukunftsbild gelangen. Dies ist für mich und mein Team eine spannende Herausforderung, die wir mit viel Elan angehen. Wir freuen uns, die Zukunft von Luzern mitzugestalten.

Was ist die grösste Gefahr zum heutigen Zeitpunkt?
Momentan ist das Wichtigste, dass wir uns gut organisieren und absprechen. Es wäre fatal, wenn die beteiligten Partnerinnen und Partner – Bund, Kantone, Gemeinde, SBB, um nur die wichtigsten zu nennen – je ein Sonderzüglein fahren würden. Dank einer guten Koordination wird es uns gelingen, die möglichen Gefahren zu erkennen und die zahlreichen Herausforderungen zu meistern. Zwei Beispiele aus Sicht der Stadtplanung: Welche Funktionen soll der Bahnhofplatz künftig erfüllen? Und wie gelingt es uns, die trennende Wirkung des Bahnhofareals aufzuheben?

Sie suchen den Ausweg aus der historischen, eisernen Durchtrennung des Stadtzentrums?
Genau. Dadurch, dass Gleisflächen frei werden und das Bahnhofareals oberirdisch kleiner wird, haben wir die Chance, neue Übergänge, Zugänge und neue Verbindungen zum Beispiel vom Hirschmatt- zum Tribschenquartier zu realisieren.

Wie verfahren Sie mit der dritten Herausforderung, wie man nämlich als funktionierende Stadt den Betrieb während einer Operation am offenen Herzen aufrechterhält?
Wir haben zurzeit noch keinen detaillierten Plan. Diesen können wir erst entwickeln, wenn die Bauphasen oder die beanspruchten Flächen definiert sind. So ist zum Beispiel noch offen, ob der Bahnhofplatz ständig oder in einzelnen Perioden eine offene Baustelle sein wird. Unser Ziel ist, den Bau des Durchgangsbahnhofs möglichst stadtverträglich zu gestalten und langjährige, unschöne Provisorien zu vermeiden.

Wie werden Sie das machen?
Unser Ziel ist, Zukunftsszenarien für das Gebiet rund um den Bahnhof zu entwickeln, sie mit den Partnerinnen und Partnern und der Bevölkerung zu diskutieren und sie mit ihnen weiterzuentwickeln.

Wann beginnt dieser Prozess?
Das kann ich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen. Zuerst müssen wir das Vorgehen definieren.


Die Stadtplanerin
Seit 2015 ist die Luzernerin Deborah Arnold Stadtplanerin der Stadt Luzern. Die 35-jährige Geografin war zuvor Projektleiterin in der Stadtentwicklung. Die Stadtplanung befasst sich mit der Raumstrategie und Wohnraumpolitik, Gebietsentwicklungen, dem öffentlichen Raum und ist auch für die Nutzungsplanung zuständig.


Die Bevölkerung soll mitreden

Mehr als 200 000 Menschen werden täglich den Durchgangsbahnhof frequentieren. Das ist eine Schätzung, die aufgrund der bisher bekannten Daten realistisch ist. Werden diese Benutzerinnen und Benutzer auch in der Planung mitreden können?
Deborah Arnold, Stadtplanerin von Luzern, hat eine klare Meinung: «Die Bevölkerung dürfen und wollen wir keinesfalls aussen vor lassen. Sie benutzt den Bahnhof, sie wird mitreden müssen.»