Da tanzen die Güggel

Wenn das kein Grund zur Start-up-Euphorie ist? Das Unternehmen Planted Foods AG der Luzerner Co-Gründer Christoph Jenny und Pascal Bieri fliegt voll im Jetstream der Zeit. Es bietet ein Poulet-Imitat aus Erbsenprotein, das erstaunlich nahe ans tierische Produkt kommt.

TEXT Bruno Affentranger
Lesezeit 9 Minuten
Die Gründer des veganen «Poulets» (von links): Pascal Bieri (34), Eric Stirnemann (30), Christoph Jenny (34) und Lukas Böni (30).

«T

rat ich heute vor die Türe, sapperlot, was sah ich da. Tanzte doch die Gans Agathe mit dem Truthahn Cha-Cha-Cha.» Das flotte Kinderlied romantisiert das Geschehen auf dem Bauernhof, wenn auch – und das wussten wir Kinder, als wir dieses Lied aus voller Kehle sangen – besungenes Geflügel nicht weniger oft auf dem Teller landet. Das Unternehmen Planted Foods schenkt diesen gefiederten Wesen mehr Grund zu ausgelassener Freude – weil es ihnen nicht an den Kragen geht. Oder, wie die Firma auf ihrer Homepage frisch und fröhlich ankündigt: «Poulet aus Pflanzen, die Güggel tanzen».

Überzeugte Investoren
Pascal Bieri ist in Sursee aufgewachsen. In diesem schmucken Städtchen wird zwar jedes Jahr im November am Martinstag traditionellerweise einer Gans der Kopf abgehauen, doch dies steht nicht in direktem Zusammenhang mit der jetzigen Beschäftigung des 34-jährigen HSG-Absolventen. Indirekt möglicherweise schon, zumal Pascal Bieri und sein Luzerner Mitstreiter Christoph Jenny zusammen mit Lukas Böni und Eric Stirnemann mit ihrem Unternehmen Planted Foods, einem ETH-Spin-off, die Konsumenten zum Denken anregen wollen: «Pflanzliche Proteine können wir Menschen selber essen, wir brauchen den Umweg über das Tier nicht.» Das sei nicht nur ökologisch durchaus sinnvoll, weil effizienter und mit einer bei Weitem besseren CO2-Bilanz, sondern auch gesünder, weil ohne Antibiotika.

Ist die direkte Proteinzufuhr aber auch in wirtschaftlicher Hinsicht angezeigt? So scheints allerdings, zumindest aus Sicht derart namhafter Investoren der ersten Stunde wie beispielsweise Stephan Schmidheinys, der Liechtensteiner Familie Zeller, des Vegi-Papstes Rolf Hiltl oder des Ex-Denner-Besitzers Philippe Gaydoul. Auf diese Weise sind in wenigen Monaten seit der Gründung im Juni 2019 für Schweizer Verhältnisse respektable sieben Millionen Franken zusammengekommen.

Der Markt ist vielversprechend
Vegetarier und Veganerinnen, Gegner der industriellen Massentierhaltung und Klimaschützerinnen haben es offenbar geschafft, dass findige Köpfe pflanzenbasierte Produkte als valablen Fleischersatz entwickeln. Für Pascal Bieri ist die oft gehörte Bezeichnung «Fleischersatz» nicht stimmig. «Was ist Fleisch?», fragt er rhetorisch.

Im Grunde seien es Fasern mit Geschmack, die Proteine liefern. Diese müssten nicht zwingend vom Tier kommen. Auf die Frage, wieso Planted Foods sein Produkt herkömmlichem Pouletfleisch täuschend echt nachahme, hält er dagegen: «Fleisch ist in unserer Kultur fest verankert. Unser Produkt lehnt sich daran an.» Wenn es nach den Gründern des Unternehmens ginge, würde es dereinst in den Läden keine Fleischtresen mehr geben, sondern «Proteintheken».

«Zukunftsfleisch» nistet sich zunehmend als fester Begriff in unseren Essgewohnheiten ein. Einmal mehr hat das Silicon Valley mit dem Unternehmen Impossible Foods an vorderster Front gewirkt. Die kalifornische Firma hat mittels Gentechnik ein künstliches Hämoglobin erfunden, das seine «impossible Burgers» zum Bluten bringt. Andere verwenden zu diesem Zweck etwa Randensaftextrakt. Das Unternehmen «Beyond Meat», ebenfalls aus Kalifornien, ahmt das Fett im Burger mit Kakaobutter, Kokosnuss-, Raps- und Sonnenblumenöl nach.

Es geht um Optik, das Auge isst bekanntlich mit, aber auch um Haptik, also um die Konsistenz beim herzhaften Reinbeissen. Und sicher auch um den Geschmack. Proteine sind aber die wichtigste Zutat, wenn es darum geht, Fleisch ernährungsphysiologisch zu imitieren. Diese stammen aus pflanzlichen Quellen wie etwa Fava- und Mungobohnen, Getreide, Reis und Erbsen. Schliesslich müssen solche Nahrungsmittel nicht nur schmecken und das geplagte Gewissen beruhigen, sondern auch gesund satt machen.

Tüfteln und forschen
Pascal Bieri hat mit seinem alten Freund aus Surseer Kantizeiten, Christoph Jenny, und den beiden ETH-Lebensmittelingenieure Lukas Böni und Eric Stirnemann das Unternehmen gegründet. Zuvor hat er für die Migros in der Lebensmittelproduktion in Estavayer-le-Lac und in Bischofszell gearbeitet, ehe er für drei Jahre in die USA ging und dort ebenfalls für die Migros in der Schokoladenproduktion tätig war. Die Inspiration hat sich der Surseer im Land der unbegrenzten Möglichkeiten geholt, nicht zuletzt aufgrund der dortigen Entwicklung auf dem Vegan-Fleischmarkt mit den innovativen Unternehmen Beyond Meat und Impossible Foods.

Eine Prognose im neuesten Industry Report der britischen Grossbank Barclays beziffert das Geschäft mit Pflanzenfleisch in zehn Jahren auf 140 Milliarden Dollar. Das wären zehn Prozent des globalen tierischen Fleischmarkts. Kaum zurück in der Schweiz, fertigt Bieri mit seinem Cousin Lukas Böni einen rudimentären Businessplan auf zwei Seiten an. Der deutsche Lebensmittelingenieur und ETH-Professor Erich Windhab, der bereits in den Neunzigerjahren mit Extrusionstechnologie experimentiert hatte, findet auf Anhieb Interesse. Danach geht es schnell. Die ETH unterstützt das Spin-off mit einem Startkapital von 150 000 Franken aus dem ETH Pioneer Fellowship und stellt ihr Lebensmittellabor und ihre Geräte am Institut für Nahrungsmittel, Ernährung und Gesundheit zur Verfügung. Dort steht schon ein Extruder bereit.

Mit dieser Maschine produziert das Unternehmen mit den vier Zutaten Gelberbsenprotein, Erbsenfasern, Rapsöl und Wasser eine Masse, aus der «Pouletstücke» gewonnen werden. Für Christoph Jenny ist schnell klar, dass sie ein Poulet-Imitat herstellen wollen: «Bei uns gilt weisses Fleisch als gesund. Der Schweizer Markt verlangt nach Poulet.»

Wie bei der Herstellung eines guten Espressos ist es das gekonnte Zusammenspiel von Druck und Temperatur, das zum gewünschten Resultat führt. Das Team von Planted Foods tüftelt lange daran, bis die für das Pouletfleisch typische Faserung und Konsistenz erreicht werden. Dabei verzichten die Gründer bewusst auf die üblichen Konservierungsmittel und Zusatzstoffe die in der Lebensmittelindustrie oft eingesetzt werden.

Das Resultat ist verblüffend, die Konsistenz überzeugend. Der Geschmack erinnert zwar leicht an Erbsen, doch dieser kann mit einer Marinade überdeckt werden. Die Feedbacks der ersten Gastrokunden haben die Entwicklung entscheidend mitgeprägt. So war beispielsweise die Kombination des Pouletimitats mit Tomatensauce nicht optimal. Dadurch wurde der Geschmack nach Erbsen über Gebühr intensiviert, so der Mitgründer Lukas Böni.

Der Surseer Pascal Bieri hat sich die Inspiration im Land der unbegrenzten Möglichkeiten geholt. Die Entwicklung auf dem US-amerikanischen Vegan-Fleischmarkt spornt ihn an.

Keine Erbsenzähler
Ende 2019 erreicht das junge Unternehmen eine Tagesproduktion von 200 Kilogramm. Heute sind es an guten Tagen, wenn die Produktion auf vollen Touren läuft, bis zu 600 Kilogramm. Damit werden bereits über 100 Restaurantbetriebe und 200 Coop-Filialen beliefert. Auch der Gastro-Grossverteiler Pistor ist als Distributionspartner eingestiegen, ebenso der Kantinenbetreiber SV-Group. Bereits hat das Unternehmen seine Fühler ins nahe Ausland ausgestreckt. Etwa an an der Messe Intergastra in Stuttgart, wo sehr gute Kontakte zu deutschen Gastronomen geknüpft worden sind. Auch ein Pop-up in Berlin ist ein Thema, um direkte Erfahrungen an der Gastrofront zu sammeln. Dazu wird eine GmbH in unserem nördlichen Nachbarland gegründet.

Auch wenn das Unternehmen an der Schmelzbergstrasse in Zürich derzeit ausschliesslich Schweizer Kunden beliefert: Es platzt aus allen Nähten. Aber nicht mehr lange. Bis Ende Mai wird in Kemptthal, dort, wo einst Nestlé für seine Kultmarke «Maggi» Bouillons und Fertigsuppen produzierte, eine eigene Fabrik mit einem Investitionsvolumen von rund vier Millionen Franken eingerichtet. Das legendäre Maggi-Areal wird seit 2018 von einer Schweizer Entwicklungsfirma auf Vordermann gebracht und unter dem Label «The Valley» vermarktet. Ein grosser Teil der Produktions- und Lagergebäude des Maggi-Areals ist Kulturgut von nationaler Bedeutung. Hier wird Planted Foods als Ankermieter auf einer Fläche von 2000 Quadratmetern die Produktion aufnehmen und eine Kapazität von drei bis vier Tonnen pro Tag erreichen. Ein möglicher Ausbau ist bereits eingeplant.

Schon bald werden dreissig Personen in der Produktion und weitere zwanzig in Administration, Marketing und Forschung beschäftigt. Die vier Unternehmer wollen das Gelände öffentlich zugänglich machen. Die Fabrik als spannender Begegnungsort sozusagen. Ein Teil der Forschung wird auch aus praktischen Gründen sicherlich an der ETH beibehalten.

In der Pipeline stehen Entwicklungen an wie Pulled Pork aus pflanzlichen Proteinen. Auch hier gilt es, den richtigen Druck, die richtige Temperatur und das richtige Produktionsverfahren bis zur Marktreife auszutüfteln.

Christoph Jenny ist aufgrund der bislang gemachten Erfahrungen davon überzeugt, dass die Rechnung aufgehen wird: «Die traditionelle Lebensmittelindustrie ist im Grunde träge, auch bezüglich der Preisbildung. Wir stossen in der Lebensmittelforschung aber in neue, spannende Felder vor.»

Planted Foods denkt aber noch weiter. Als Industriepartner des Bundesamts für Landwirtschaft möchte das Unternehmen bei der Promotion von Primärprotein in der Schweiz an vorderster Front mitwirken. Gelbe Erbsen, das Hauptmaterial für das Poulet-Imitat, werden in der Schweiz momentan nicht in genügenden Mengen angebaut. In Deutschland aber schon. Für die Gründer von Planted Foods gibt es keinen triftigen Grund, wieso dieser wertvolle Proteinlieferant nicht auch in unseren Breitengraden gedeihen sollte. Noch importiert man das Erbsenprotein aus Europa. Vermutlich nicht mehr lange.