Deshalb wollen wir wissen: Wer gewinnt die US-Wahlen?

Was geschieht danach mit den beiden Giganten USA und China?

TEXT Peter Bucher
Lesezeit 12 Minuten
David Harden ist einer der US-Amerikaner, der sich neutral zwischen Demokraten und Republikanern bewegt. Der ehemalige Chef des US-Pendants zum Schweizer DEZA erklärt uns, welche Rolle die USA für sich reklamieren – und was die Aufgabe der Schweiz sein könnte.

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TADTSICHT: Warum ist es für die Welt wichtig, wer im Weissen Haus wohnt?
David Harden: Diese Wahl ist sehr wichtig, nicht nur für die Vereinigten Staaten, sondern auch für die ganze Welt. Wir erleben derzeit mit der Ausbreitung des Coronavirus eine globale Pandemie, die nicht nur die öffentliche Gesundheit, sondern auch Handel, Gewerbe und Sicherheit betreffen wird. Globale Leadership ist beziehungsweise wäre essenziell Aus europäischer Sicht bleibt die amerikanische Führung auch in Bezug auf die NATO, die Krisen im Nahen Osten und die sich verändernden Energiemärkte kritisch. Auch wenn sich die Welt nach dem Zweiten Weltkrieg verändert hat, bleibt die US-Führung ein wichtiger Bestandteil des gegenwärtigen und zukünftigen globalen Standes der Dinge.

Glauben Sie, dass der Einfluss der US-Präsidentschaft, der US-Regierung und der USA als Markt unterschätzt oder überschätzt wird?
Das ist eine interessante Frage. Ich denke, es hängt davon ab, wo man sitzt.

... Wir sitzen in der Schweiz ...
Die Welt ist heute anders, als sie 1945 war, und sie wird auch in der nächsten Generation anders sein. So gesehen ist der amerikanische Präsident heute vielleicht weniger wichtig als zu Zeiten des Kalten Krieges. Wir befinden uns in einer Zeit der grossen Machtkonkurrenz, in der aufstrebende Mächte wie China und natürlich Russland weiterhin mit den Vereinigten Staaten um Einfluss wetteifern. China ist heute eine viel dominantere Macht als in den letzten 75 Jahren. Zudem sehen wir viele aufstrebende Mächte, die versuchen, regionalen Einfluss zu gewinnen. Die Türkei ist so ein Beispiel direkt in Ihrem Hinterhof. Der Aufstieg der nationalen Bestrebungen im Nahen Osten mit den Vereinigten Arabischen Emiraten oder mit Saudi-Arabien ist ein anderes Zeichen. Natürlich streben auch Indien, Brasilien, Südafrika und Nigeria alle nach einer grösseren Rolle und nach mehr Einfluss. So verändert sich die Welt ziemlich schnell. Trotzdem ruht die Macht der Vereinigten Staaten in erster Linie auf ihren Werten und auf ihrer Vision einer optimistischen, hoffnungsvollen Zukunft, die den Menschen in den USA und im Ausland Chancen gibt, etwas aufzubauen und am Aufgebauten teilzuhaben. Diese Bestrebungen sind im Moment in den USA nicht ganz einfach abzulesen. Deshalb hoffe ich, dass in einer neuen Regierung oder in den nächsten 10 bis 20 Jahren das Licht wieder auf die Vision von Amerika scheinen wird. Im Moment macht es das nicht.

Kürzlich hat Präsident Trump Indien besucht: Ist Indien ein Partner der USA in dieser Art von werteorientierter Führungsrolle?
Lehnen wir uns doch kurz zurück und versuchen wir das ohne Rücksicht auf die Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten zu beurteilen. Wir müssen wissen, dass Indien nach dem Zweiten Weltkrieg eine arme, chaotische Nation war. Bis heute hat sich das deutlich gewandelt. Indien strebt zum Beispiel nach der Raumfahrt oder nach globaler Präsenz auf den Weltmeeren. Indien möchte mehr zu einer wirtschaftlichen Macht zu werden. Die USA haben viele gemeinsame Interessen mit Indien. Wir sehen eine Art Gleichgewicht zwischen den beiden. Es existieren viele Gründe, warum die Vereinigten Staaten eine starke und enge Verbindung mit Indien haben wollen und haben. Erwarten Sie, dass die Zusammenarbeit zwischen den beiden Staaten weiter vertieft wird und dass die Interessenübereinstimmung auch in Zukunft bestehen bleibt. Aber ich möchte auch nicht überbewerten, wo Indien heute steht. Ich meine, Indien hat einige enorme Herausforderungen. Die Bevölkerung ist sehr vielfältig, und Indien wird seine Wirtschaft, seine Gesellschaft und seine politischen Strukturen so vorantreiben müssen, dass die muslimische Minderheit und die Vielfalt der Bevölkerung einbezogen werden. Das ist nicht einfach.

Wie sollten die Beziehungen der USA zu China in der Zukunft aussehen?
Der geopolitische Einfluss Chinas, zumindest in Asien, wächst rasant. Die Vereinigten Staaten und China stehen in einer komplexen Beziehung, die zwischen Kooperation und Wettbewerb hin und her schwankt. Auch deshalb suchen wir nach einem realistischen Weg. In einigen Bereichen werden wir zusammenarbeiten. Vielleicht sehen wir das gerade jetzt ein wenig beim Coronavirus oder in der Notwendigkeit, Ruhe auf den Energiemärkten zu schaffen. Wir brauchen globale, vorhersehbare und sicherheitsbasierte Strukturen. Aber natürlich werden wir mit China konkurrieren, zweifellos werden wir immer Handel zusammen betreiben. Die USA werden wirtschaftlichen Einfluss und die Technologie besitzen wollen. Wir werden im nächsten Jahrzehnt sowohl Kooperation als auch Wettbewerb erleben.

Sie selbst haben wahrscheinlich mehr Jahre Ihres Erwachsenenlebens ausserhalb als innerhalb der USA verbracht. Sie haben löschen grosse Erfahrung damit, wie die USA in der Welt gesehen werden. Wie hat sich das in den letzten zwanzig Jahren gegenüber dem, was Sie erlebt haben, geändert?
Das Bild der Vereinigten Staaten unterliegt im Ausland einer Dynamik. Und je nachdem, wo Sie sitzen, kann das Bild der Vereinigten Staaten im Moment sehr positiv sein. Wenn Sie zum Beispiel in Riad oder Tel Aviv oder Abu Dhabi sind, werden Sie sehr glücklich sein und zuversichtlich über die Trump-Administration und die Führung der Vereinigten Staaten und der Welt denken. Auf der anderen Seite gab und gibt es in Bern, in Berlin und Paris wohl eine viel tiefere Skepsis gegenüber dem Weg der Vereinigten Staaten. Ein Teil davon bezieht sich auf die Interessen und die Vision für die Zukunft.

Sie erwähnen zum zweiten Mal bereits die Vision der USA für die Zukunft. Wie soll diese aussehen?
Meine persönliche Hoffnung ist, dass die Vereinigten Staaten eine optimistische, mutige Nation sein können, die versucht, etwas zu den kompliziertesten Herausforderungen, wie zum Beispiel dem Kampf gegen den Klimawandel, der Friedenssicherung und Sicherheit beizutragen. Wir sind längst jenseits des Zustands, in dem die Vereinigten Staaten die Polizisten der Welt verkörperten. Das war einmal. In den Vereinigten Staaten existiert eine gewisse Erschöpfung. Dieses Thema ist erledigt. Aber ich hoffe, dass wir in den USA immer noch eine im grossen Massstab denkende, global visionäre Führung anstreben.

Die aktuelle Coronakrise, die ökologischen und weltwirtschaftlichen Schwierigkeiten, die Herausforderungen der globalen Erwärmung. Welche Rolle spielen die Vereinigten Staaten in der Beantwortung dieser Fragen?
Eine Sache, die ich über die Wahl 2016 und den Aufstieg von Präsident Trump gelernt habe, ist, dass innenpolitische Erwägungen und Beschwerden von Bürgerinnen und Bürgern wirklich eine Rolle spielen. Es ist entscheidend, wenn, so wie wir es jetzt erleben, grobe Ungleichheit in den Vereinigten Staaten herrscht. Wir erkennen in den USA Menschen, die zurückgelassen wurden. Wir sind mit Menschen konfrontiert, die sich vom politischen Prozess ausgeschlossen fühlen und die wieder herangeholt werden müssen. Deshalb wird es zur Bewältigung der grossen globalen Herausforderungen der Zukunft zunächst notwendig sein, die innenpolitischen Überlegungen richtig anzustellen.

Wie würden diese richtig aussehen?
Nehmen wir zum Beispiel den Klimawandel. Wir können ihn als ein Nullsummenspiel ansehen, bei dem eine Art von marginaler oder geschädigter Bevölkerung alle Kosten eines grünen New Deals und einer Art von Umstrukturierung tragen muss, in der sie die Verliererin ist. Das wäre nicht die richtige Art und Weise, den Klimawandel zu bekämpfen. Der Weg, den Klimawandel aus unserer Sicht richtig zu bekämpfen, besteht darin, grosse Führungspersönlichkeiten zu sein, die mit ihrer Technologie, ihrer Finanzkraft, ihrer Innovation oder ihrem Einfallsreichtum die Richtung der Zukunft mitgestalten können.

Was genau ist zu tun?
Wir müssen Arbeitsplätze und wirtschaftliche Chancen für Amerika insgesamt schaffen. Es ist durchaus möglich, sich eine andere technologische Welt vorzustellen, in der die Solartechnik, die erneuerbaren Energien eine dominierende Kraft sind, in der sich die verschiedenen landwirtschaftlichen Praktiken und die unterschiedlichen Energieverbrauchskonzepte dramatisch entwickeln. Ein grosser Teil der Innovationstechnologie wird aus den Vereinigten Staaten stammen. Aber wir kommen nicht im Ansatz dorthin, wenn wir diese Vision nicht wirklich verfolgen.

Sie engagieren sich persönlich als Unterstützer von Joe Biden bei der US-Wahl. Warum tun Sie das?
Aus meiner persönlichen Perspektive ist es das Wichtigste, dass wir gegen Donald Trump kämpfen. Ich bin unabhängig. Ich bin kein Republikaner und kein Demokrat. Ich war 22 Jahre lang im Aussendienst tätig. Ich habe überall auf der Welt auf unparteiischer Basis gearbeitet, habe geholfen, Amerika zu vertreten und einige der kompliziertesten Probleme zu lösen, ob es nun Israel, Palästina oder Irak, im Südsudan, in Syrien oder im Jemen war. Ich habe oft selbstständig aber immer als US-Amerikaner gearbeitet. Als solcher habe ich heute das Gefühl, dass Donald Trump die amerikanische Vision und die amerikanischen Grundwerte herabgesetzt hat.

Donald Trump hat die Nation befleckt?
Er hat die amerikanischen Institutionen in einer Weise degradiert, die höchst gefährlich ist, nicht nur für die Vereinigten Staaten. Deshalb bin ich vor etwa zwei Jahren aus der Regierung ausgeschieden und habe mich verpflichtet, alles zu tun, um im Jahr 2020 einen neuen Präsidenten zu ermöglichen. Joe Biden ist derjenige, der meiner Meinung nach am ehesten die Vorwahlen gewinnen wird. Er kann Donald Trump effektiv herausfordern, eine Kampagne in fünfzig Bundesstaaten führen und das Interesse einer Vielzahl von Wählern wecken. Ob weisse Arbeiterklasse oder Afroamerikaner im Süden oder jüngere oder ältere Menschen, ob Elite, städtische oder ländliche Gebiete. Ich denke, er kann effektiv in der ganzen Nation flächendeckend Unterstützung gewinnen.

Wer wird gewinnen?
Es wird eng werden. Und ich glaube, das Einzige, was ich aus dem Jahr 2016 gelernt habe, ist, dass man den Ausgang von Wahlen nicht vorhersagen sollte. Bis vor Kurzem war die US-Wirtschaft sehr stark. Die Arbeitslosenquote war sehr niedrig. Donald Trump hat eine sehr, sehr starke Basis an Unterstützung, sicherlich im Bereich von 40 bis 45 Prozent. Es gibt viele Bundesstaaten die ihn und unser Wahlkollegiensystem stark unterstützen. Er muss als der leichte Favorit angesehen werden. Aber das Coronavirus und die daraus resultierenden wirtschaftlichen Herausforderungen untergraben die Wahrnehmung seiner Führung.

Wir haben nicht viel über Europa oder die Schweiz gesprochen. Sehen Sie in diesem Bereich der Welt etwas, das für die Diskussionen, die wir gerade geführt haben, von Bedeutung ist? Was ist unsere Rolle?
Donald Trump hat unsere engsten Verbündeten wirklich missachtet. Er hegt Verachtung und zeigt Respektlosigkeit gegenüber den Menschen, die uns am nächsten stehen, und die Werte in der Zivilgesellschaft vertreten. Die eine Vision für die Zukunft haben. Ich rede natürlich von Europa. Wir müssen mit Europa wieder Seite an Seite engagiert sein. Ich sehe keinen Grund, es nicht zu tun. Unsere Werte und unsere Interessen sind so aufeinander abgestimmt, dass wir in bester Beziehung sein sollten. Die USA sollten eine Beziehung zu Europa pflegen, anstatt sich unter der Trump-Administration von Europa zu distanzieren. Er geht genau in die falsche Richtung.

Warum das?
Europa war jahrzehntelang unser Partner und wird auch unser Partner für weitere Jahrzehnte sein. Es ist notwendig, Freunde und Verbündete mit einem Mass an Respekt zu behandeln, das im Moment überall fehlt. Das ist für mich entscheidend.

Und die Schweiz?
Die Schweiz hat immer eine einzigartige Rolle innerhalb Europas gespielt. Offensichtlich neutral und nicht Mitglied der EU. Die Schweiz ist eines der kleineren Länder, aber gleichzeitig war und ist die Schweiz auch eine Art intellektueller Führer. Ein Land, das ein viel grösseres Gewicht hat, als ihm seine Grösse zugestehen würde. Die Schweiz kann mit intellektueller Führung und Einigem an kritischem Denken, mit Investitionen und Innovationen, die für die Welt sowohl in Bezug auf den Klimawandel als auch auf die Klimapraktiken wichtig sind, einen Beitrag leisten.

Schätzen Sie die Schweiz nicht ein wenig zu hoch ein?
Nein. Die guten Dienste der Schweiz oder Genf als einer der wichtigsten UNO-Sitze gelten als bemerkenswert. Auch in meinem eigenen Erfahrungsgebiet der Krisenintervention traten die Schweizer Regierungsagenturen und Hilfsorganisationen oft viel präsenter, mächtiger und dominierender auf als viele andere der weltweit mehr als 190 aktiven Länder. Sie leisten innovative und unternehmerische Vermittlung. In den Krisengebieten sieht man typischerweise nur eine Handvoll Nationen vor Ort. Die Schweizer gehören dazu.

US-Spezialist für die Welt

David Harden ist Geschäftsführer der Georgetown Strategy Group, einer Firma der nächsten Generation in Washington, D.C., die Talent, Technologie und Kapital einsetzt, um einige der komplexesten Probleme der Welt zu lösen. Dave war mehrere Jahrzehnte im Foreign Service für die USA tätig, vor allem in Afrika sowie im Mittleren und Nahen Osten. Zuletzt leitete er für die Obama-Administration das Büro für Demokratie, Konflikt und humanitäre Hilfe von USAid, der Agentur für internationale Entwicklung. Ausgestattet mit einem jährlichen Budget von 4,8 Milliarden US-Dollar und fast 1200 Mitarbeitenden, koordinierte er die USAid-Massnahmen zur Stabilisierung und globalen Krisenbewältigung. Der verheiratete Vater dreier erwachsener Kinder war persönlich beteiligt an Einsätzen in Haiti, Libyen, Somalia, Syrien, im Irak, Südsudan, Westjordanland, Gaza-streifen und Jemen