Home sharing? Das war MAL.

Airbnb, HomeAway und andere machen Touristen zu Einheimischen auf Zeit. Wie verbreitet ist das Phänomen wirklich? Und was ist von der Grundidee des Teilens geblieben? Der Walliser Tourismus- und IT-Spezialist Roland Schegg weiss es.

TEXT Bruno Affentranger
Lesezeit 10 Minuten
Der Beobachter Dr. Roland Schegg ist Dozent an der Hochschule für Wirtschaft in Siders und Forscher am Institut für Tourismus der HES-SO Valais-Wallis. Zwischen 2000 und 2004 war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter und später als Dozent an der Ecole Hôtelière de Lausanne tätig. Seine wissenschaftliche Laufbahn begann er mit einem Studium der Naturwissenschaften an der ETH Zürich in den Achtzigerjahren. 1993 folgte die Promotion an der Universität Genf. Aktuell beschäftigt er sich im Rahmen seiner Forschungstätigkeit vor allem mit dem Einfluss neuer Informations- und Kommunikationstechnologien auf die Tourismusindustrie. Themen seiner Arbeiten sind unter anderen das Monitoring von Akteuren wie Airbnb und booking.com im Schweizer Tourismus.

STADTSICHT: Laut einer Wirtschaftsstudie der Raiffeisenbank treten im Bereich Airbnb vermehrt professionelle Investoren auf den Plan. Was hat das noch mit Sharing Economy zu tun?
Roland Schnegg: Plattformen wie Airbnb und HomeAway hatten vor zehn Jahren ­eine Philosophie, die auf dem Teilen («Sharing») basierte. Die typische Unterkunft, die zu diesem Zeitpunkt zur Verfügung stand, war ein Zimmer oder eine Wohngemeinschaft mit dem Gastgeber. Heute können noch etwas mehr als ein Drittel des Airbnb-Angebots in der Schweiz als Privat-zu-Privat-Vermietung betrachtet werden. Bei 42 Prozent der Angebote liegen unbestreitbar auch wirtschaftliche Gründe für die Vermietung vor, da die Privatpersonen die Unterkunft für mehr als 120 Nächte zur Verfügung stellen. Semiprofessionelle und professionelle Angebote, das heisst Hosts, welche mehrere Objekte auf Airbnb verwalten, machen bereits zwanzig Prozent der Angebote aus. Es wird deutlich, dass die von Airbnb kommunizierte Idee des geteilten Wohnraums im Sinne eines Home­sharing immer mehr eine untergeordnete Rolle spielt.

Pro Monat verzeichnet die Schweiz nahezu 500 000 Logiernächte, die durch Airbnb vermittelt werden. Tendenz stark steigend. Wird dieser Trend Ihrer Meinung nach anhalten?
Das Walliser Tourismus Observatorium schätzte in seiner letzten Studie, dass Airbnb 2018 in der Schweiz rund 3 Millionen Übernachtungen generiert hat. Dies entspräche rund acht Prozent der 38,8 Millionen Übernachtungen in der Schweizer Hotellerie im Jahr 2018. Schaut man sich das globale Wachstum der Angebote auf Plattformen wie Airbnb, HomeAway (auch Expedia) und booking.com an, ist kein Rückgang in Sicht. Airbnb wird auch in der Schweiz weiterhin wachsen; nur regulatorische Massnahmen oder die Krise um das Coronavirus könnten diesen Trend brechen.

Mit der Kurzzeitvermietung von Wohnungen, wie dies etwa von Airbnb praktiziert wird, kann man viel Geld verdienen. Kann das zu Wohnungsnot führen?
Auf der Basis von Daten von AirDNA schätzten wir im letzten Jahr den Beherbergungsumsatz von Airbnb-Objekten in der Schweiz auf rund 496 Millionen Franken. Diese Zahlen sind jedoch mit einer gewissen Vorsicht zu interpretieren. Airbnb hat kürzlich bekannt gegeben, dass Reisende, die 2018 auf ihrer Plattform gebucht hatten, direkte Ausgaben für die Schweizer Wirtschaft von 642 Millionen Franken ausgelöst haben. Basierend auf dieser Studie von Airbnb schätzen wir das Beherbergungseinkommen auf rund 256 Millionen Franken. Trotz dieser Divergenzen bei den Schätzungen des Umsatzes kann man dennoch sagen, dass im Jahr 2018 die touristische Kurzzeitvermietung von Wohnungen über Airbnb ein signifikantes Volumen ausmacht, welches vergleichsweise sechs bis zwölf Prozent des Beherbergungsumsatzes der Schweizer Hotellerie erreicht.

Wie sieht die durchschnittliche Nutzung einer Airbnb-Wohnung aus?
Im Durchschnitt wird ein Objekt auf natio­naler Ebene der Airbnb-Plattform für 177 Tage zur Verfügung gestellt und wurde 2018 von Gästen im Schnitt an siebzig Tagen genutzt. Für die Schweiz insgesamt beträgt der durchschnittliche Jahresumsatz pro Objekt knapp 12 000 Franken, kann aber in Gebieten mit hoher Nachfrage (Städte oder bekannte Tourismusdestinationen) deutlich höher sein. Zudem sind diese Profitsteigerungen ohne grosse Investitionen möglich, was die Wohnungsmärkte in den Städten unter Druck setzt. Verschiedene Studien kritisieren, dass Kurzzeitvermietungen diese Objekte den Wohnungsmärkten dauerhaft entziehen, da die Einnahmen mittels Airbnb die regulären Mieteinnahmen deutlich übersteigen können und für Besitzer lukrativer sind. Eine aktuelle Studie für die Stadt Salzburg zeigt, dass mehr als fünfzig Prozent der auf Airbnb inserierten Wohnungen und Häuser dem Wohnungsmarkt dauerhaft entzogen werden!

«Kinderwagen statt Rollkoffer – stopp Airbnb» – solche Statements zeugen von Unmut in der Bevölkerung. Wird sich die Lage in Zukunft zuspitzen?
Das Phänomen Airbnb geht ja oft einher mit der Problematik des Massentourismus. Man spricht in vielen Städten, auch in Luzern, vom Phänomen des Overtourism, wobei viele Experten der Meinung sind, dass es mehr mit «Under-Management» zu tun hat. Wenn also Tourismusströme auch zukünftig sogenannt unkontrolliert wachsen, – was für 2020 in der aktuellen Situation eher unwahrscheinlich zu sein scheint – und die Bedürfnisse der Anspruchsgruppen in den Zielgebieten nicht adäquat berücksichtigt werden, ist die Gefahr einer Zuspitzung in den touristischen Hotspots nicht von der Hand zu weisen.

Befürworter von Airbnb behaupten, das Onlineportal wirke dem Leerstand von Zweitwohnungen entgegen und ziehe Touristen an, die sich die hohen Hotelkosten in der Schweiz nicht leisten können. Teilen Sie diese Meinung?
Dass Airbnb in den klassischen Tourismusregionen auch positive volkswirtschaftliche Effekte hat, ist unstrittig. Viele Vermieter, private und professionelle, nutzen Airbnb und auch andere Plattformen heute als Vertriebskanäle, um eine internationale Kundschaft online anzusprechen.

Ist Airbnb ein Segen für alpine Tourismus­regionen, aber ein Fluch für von Wohnungsnot geplagte Städte?
In den alpinen Regionen waren die kalten Betten in der Parahotellerie seit Jahrzehnten ein Diskussionsthema. In dieser Hinsicht sind Kurzzeitvermietungen über Plattformen wie Airbnb sicherlich ein adäquates Mittel, um dieser Problematik zu begegnen. Die Tatsache, dass die professionellen Immobilienagenturen Airbnb und Co. als neuen Vertriebskanal für Ferienwohnungen nutzen, unterstreicht dies klar. Interhome verwaltet beispielsweise fast 2000 Objekte auf Airbnb.

Und wie sieht es in den Städten aus?
In den Städten stellt Airbnb neben einem aus Sicht der Hoteliers unlauteren Wettbewerb auch eine Konkurrenz für die Wohnbevölkerung im Mietwohnungsbereich dar. Wir haben in der Schweiz noch nicht Verhältnisse wie in Barcelona, aber die Situation kann sich verschärfen. Zwischen Hotelgewerbe und Wohnungsvermietung hat sich ein neuer Markt entwickelt, den vor allem kommerzielle Anbieter bedienen. Wenn wir lebendige Städte erhalten wollen, muss das Phänomen der Kurzzeitvermietung in Städten adäquat gemanagt und reguliert werden.

Die kommerzielle und gewinnorientierte Weitervermietung einer gemieteten Wohnung oder eines Zimmers ist in der Schweiz nicht legal. Wie kann dies regulatorisch gelöst werden?
Ich bin kein Spezialist bei regulatorischen Fragen. Es handelt sich um ein komplexes Thema im Bereich des Obligationenrechts. Das Thema wurde aber in einem Bericht des Bundesrates 2017 detailliert analysiert («Die Regulierung in der Beherbergungswirtschaft»). Der Bericht kam zu folgendem Schluss: «Die neuen Erscheinungsformen der privaten Raumvermietung stellen die mietrechtliche Praxis vor neue Herausforderungen. Dabei können aber die meisten Fragestellungen auf dem Wege der Auslegung des geltenden Rechts geklärt werden. Ein Revisionsbedarf besteht lediglich im Zusammenhang mit der Präzisierung, was als Ferienwohnung gilt, und bei den Modalitäten zur Einholung der Zustimmung der Vermieterschaft sowie bei den Verweigerungsgründen.»

Macht es sich Airbnb zu einfach, wenn das Unternehmen die Verantwortung bezüglich Anmeldung und Steuern an die Vermieter delegiert?
Ich denke ja. Bei Airbnb und Co. handelt es sich um globale Online-Marktplätze, die Anbieter von Beherbergungsobjekten mit Nachfragern zusammenbringen und alle finanziellen Transaktionen abwickeln. Die Plattformen besitzen also sämtliche Angaben für die korrekte Abrechnung von Tourismustaxen und auch für die Kommunikation steuerrelevanter Informationen, geben diese Fakten jedoch nicht an die Behörden weiter. Momentan handelt es sich in vielen Fällen um graue Märkte, wo die Anbieter von Objekten mehr oder weniger anonym ihrem Geschäft nachgehen können, da die Regionen und Städte nicht die Mittel haben, an die Informationen zu kommen. An einigen Destinationen gibt es zwar eine Registrierungspflicht für Wohnungen, die über solche Online-Plattformen vermietet werden. Wie Erfahrungen aus diversen Städten und Regionen zeigen, wird die Registrierungspflicht trotz Androhung von hohen Strafen aber kaum beachtet. In Berlin müssen Hosts sich beispielsweise eine Registrierungsnummer beim jeweiligen Bezirk besorgen. Das wurde aber von weniger als zwanzig Prozent der Anbieter tatsächlich gemacht.

Was halten Sie von einer Limitierung der Tage, an denen eine Wohnung professionell auf Airbnb vermietet werden kann, wie dies etwa in Genf der Fall ist?
Dies ist ein Ansatz, der von vielen Städten weltweit probiert wird, um der Problematik des Entzugs von Wohnraum durch eine professionelle Vermietung zu begegnen. Wie bei der Registrierungspflicht steht und fällt das Ganze aber mit einer effizienten Kontrolle. Airbnb hätte zwar die Möglichkeit, solche Prozesse zu automatisieren, zeigt sich aber wenig interessiert an Einzellösungen mit kleinen Destinationen.

Wie stehen Sie zu Verboten von professionell betriebenen Airbnb-Wohnungen, wie diese in Städten wie Bern oder Barcelona erwogen werden?
Es ist immer eine Abwägung von Interessen zwischen den verschiedenen Anspruchsgruppen einer Stadt. Zahlreiche Beispiele haben gezeigt, dass grosse Tourismusströme und der damit einhergehende Boom von Kurzzeitvermietung den Lebensraum der einheimischen Bevölkerung negativ beeinflussen können. Es ist deshalb verständlich, dass solche Städte trotz signifikanter wirtschaftlicher Wertschöpfung des Tourismus auch an drastische Regulierungsmassnahmen denken.

Ist die Stadt Luzern mit ihrer Zentrums­funktion und als internationaler Tourismus-Hotspot  besonders gefordert?
Ich kenne die spezifische Situation von Luzern nicht im Detail. In Bezug auf Airbnb scheint mir die Stadt aber nicht unbedingt unter einem Boom zu leiden – das Angebot an Airbnb-Betten im Vergleich zu Hotelbetten ist tiefer als in anderen Schweizer Städten. Problematischer fürs Leben in der Stadt sind wahrscheinlich eher die zeitlichen und räumlichen Konzentrationen der Tagestouristen.