SMART CITY?
Luzern ist definitiv zu klein
Der Schnell-denker
Peter Delfosse (1966) ist seit 2008 CEO der Axon Active Gruppe mit weltweit über 850 Mitarbeitern in sieben Unternehmen. Die Axon hat ihren Sitz in Luzern. Peter Delfosse ist spezialisiert auf strategische und operative Führung von Unternehmen mit Fokus in der digitalen Transformation. Big Data, digitale Ökosysteme und Prozessmanagement sind seine Kerngebiete.
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STADTSICHT: Smart City als Ausdruck scheint ein Heilsversprechen zu sein. Er klingt modern, er klingt gut. Was ist wirklich damit gemeint?
Peter Delfosse: Der Begriff ist vor allem sehr schwer einzuordnen. Damit ist eigentlich eine datengesteuerte Stadt gemeint.
Was bedeutet das?
In einer datengesteuerten Stadt kann man die Ressourcen effizienter nutzen und Innovationen fördern. Öffentliche Dienstleistungen werden dank den Daten einfacher zugänglich gemacht. So weit die Theorie. In der Praxis wollen die Städte durch den Einsatz neuer Technologien sich selber attraktiver machen.
Ist man digitalisiert, wenn man bisherige Dienstleitungen nun nicht mehr auf Papier, sondern als PDF anbietet? Ist das bereits smart, um beim Begriff zu bleiben?
Sie spotten, aber Sie haben recht. In der Rea--lität haben Städte und damit Verwaltungen allgemein ihre liebe Mühe mit der Digitalisierung. Verwaltungen hinken rund 15 bis 20 Jahre der Dienstleistungsbranche hinterher, wenn man sie am Stand der Digitalisierung misst.
Übertreiben Sie jetzt?
Nein. Der Zustand der Verwaltung ist so, wie wenn Sie heute bei der Kontoeröffnung in der Bank erfahren würden, dass ein E-Banking noch nicht angeboten wird. Zusätzlich können Sie die Einzahlungen nur an einem anderen Schalter in Auftrag geben, übrigens in einer anderen Filiale.
Und wenn ich einen Kontoauszug möchte?
Den würde diese imaginäre Vergleichsbank gerne für Sie ausdrucken, und Sie könnten den Ausdruck danach in einer Filiale abholen kommen. In diesem Zustand ist die Verwaltung.
Warum hat die Verwaltung einen derartigen Modernisierungsrückstand?
Der Grund ist einfach: Unser Staat ist immer noch so organisiert, wie er es bereits im 19. Jahrhundert war. Die Digitalisierung ermöglicht und setzt sogar voraus dass ein Kulturwandel in der Organisation stattfindet. Die Fragen in den Digitalisierungsprozessen sind diese: Haben wir die richtige Grösse? Verfügen wir über die richtigen Kooperationen? Sind wir in der Lage, die notwendigen, manchmal schmerzhaften strukturellen Veränderungen vorzunehmen? Smart City kommt erst danach in einem zweiten Schritt. Daran denken kann man erst, wenn man digitalisiert ist, Zugang zu den richtigen Daten hat und die Automatismen und die Organisation vorbereitet hat, die Smart City erst ermöglichen. Staat, Kantone und Gemeinden sind weit davon entfernt. Luzern ist weit davon entfernt.
Was verstehen Sie unter Digitalisierung?
Man hat sämtliche Daten, Informationen und Prozesse digital abgebildet. Man kann auf ihnen aufbauen. Dies innerhalb eines Perimeters, der sinnvoll gross ist.
Ein Beispiel?
Man muss eine gewisse geografische Grösse haben, damit es Sinn macht, die Mobilität smart zu organisieren. Es muss eine Einheit bestimmt sein, die in ihrem Ausmass Sinn ergibt, damit das Gesundheitswesen oder die Bildung neu organisiert werden können.
Die Stadt Luzern hat ihre Vorstellungen einer Smart City dargelegt. Ist die Stadt für sich genug gross? Wo liegt die sinnvolle Mindestgrösse?
Man muss den Lebensraum der Menschen definieren. Bevor man auf Ihre Frage antworten kann, muss man das natürliche Habitat einer bestimmten Menschengruppe kennen, von einer Community also. Nehmen Sie das Beispiel der Stadt Wien, die eine Smart City sein will: Sie hat 2,3 Millionen Einwohner und zählt 23 Bezirke. Die Stadt Luzern würde ungefähr einem Bezirk Wiens entsprechen. Luzern entspricht ungefähr dem kleinsten Stadtteil Barcelonas, der zehn Stadtteile zählt. In Wien oder in Barcelona käme kein Mensch auf die Idee, für diesen einen, kleinen Stadtteil ein Smart-City-Konzept realisieren zu wollen.
Wie sähe die Adaption für die Schweiz aus?
Man müsste Lebensräume im Mittelland zusammenlegen. Zwei oder drei Smart -Citys hätten hier Platz. Über die ganze Schweiz wären es am Ende vier oder fünf Smart Citys. Man muss extrem gross und weit denken, weil die Mobilität einer der wichtigsten Faktoren ist.
Luzern ohne Zürich als Smart City ist ein Unsinn?
Wahrscheinlich ist das so. Man müsste zumindest prüfen, was eine sinnvolle Zusammensetzung wäre. Es geht ja vor allem darum, mit erfolgreichen Kooperationen auch relevante Budgets zusammenzubringen. Am Ende müssen den Bürgerinnen und Bürgern Angebote offeriert werden, die Sinn machen. Der Perimeter Luzern alleine ist definitiv zu klein. Sie finden das mit einer einfachen Testfrage raus.
Machen wir den Test, fragen Sie!
Wo liegen Lösungen für Mobilitätsfragen? Nur innerhalb Luzerns oder auch ausserhalb?
Auch ausserhalb.
Damit ist Ihre Frage nach der Grösse Luzerns beantwortet.
Wie viel kostet eine Smart City?
Ich nehme den Umweg über die Digitalisierung von Government, das Regieren also. Hier versucht man seit einiger Zeit verschiedenes unter dem Oberthema E-Government. Seit zwanzig Jahren wird geplant. Hunderte von Millionen Franken sind verbaut. Der Effekt besteht darin, dass praktisch kein Bürgernutzen entstanden ist. Hauptfaktor für das Scheitern ist die Kleinteiligkeit der gewählten Gebiete. Das Geld hat weniger eine Rolle gespielt. Deshalb ist die wichtigere Frage: Wie organisieren wir uns in diesen Themen? Wer macht mit?
Wie müsste man sich organisieren?
Im E-Government kommt der Bund mit sehr viel Mitteleinsatz derzeit gut voran. Die Kantone und die Gemeinden für sich alleine aber sind völlig überfordert. Das ist ein Fingerzeig. Zurück zur Smart City: Es dient nicht, dass Städte oder Gemeinden für eine halbe, eine ganze Million oder fünf Millionen Budgets freigeben. Sie müssen sich zusammentun und einen grossen Topf schaffen. Einmal statt zwanzig Mal das -eine, wichtige Projekt finanzieren, dafür richtig.
Jede Stadt hat andere Prioritäten.
Aber die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger differieren nicht gross von Stadt zu Stadt. Stadtverwaltungen neigen – genauso übrigens wie Firmen – nun mal dazu, sich als einzigartig zu sehen und treiben deshalb oft genug unkritische Projekte voran.
Damit kehrt man alle Tendenzen der letzten Jahrzehnte um: Es wäre ein Abschied vom Subsidiaritätsprinzip, das die Aufgabendelegierung an und die Wahrnehmung durch die passende Führungsebene vorsieht. Hier ist der Kanton zuständig, dort die Gemeinde. In dieser Frage wäre es der Bund, ein zentrales Steuerungsgremium, was dem Schweizer Föderalismus extrem widerspricht.
Man muss es nicht tun. Aber auch Subsidiarität und Föderalismus entwickeln sich parallel zu den Erwartungshaltungen der Bevölkerung weiter. Man sollte einfach kein Geld ausgeben, wenn man die wichtigen Themen zum Beispiel nicht in einem grösseren Einzugsgebiet behandeln kann. Wenn dieses Gebiet den politischen Grenzen gehorchen muss, macht Aktivismus keinen Sinn. Man kann auch warten und schauen, was geschieht.
Was geschieht?
Mit höchster Wahrscheinlichkeit übernehmen irgendwann Private die Organisation einer Stadt. Das findet teilweise bereits statt.
Wo ist das der Fall?
Die besten Staumeldungen in der Schweiz kommen heute schon von Google. Und in Toronto hat ein Tochterunternehmen von Google den Zuschlag erhalten, die Stadt zu organisieren. Man stellt nun mit Schrecken fest, dass der private Anbieter als erstes die Daten der Bürger haben will. Man braucht diese Daten, um smart zu werden. Den politischen Verantwortlichen dämmert nun, dass es vielleicht keine gute Idee ist, die privaten Daten von Bürgern einer Google-Tochter zu überantworten. In der Schweiz wären die Mittel und die Fähigkeiten vorhanden, selber Herr der Daten zu bleiben. Es braucht dazu aber den Willen der Politik, dies auch zu organisieren.
Wien ist eines der Vorzeigeobjekte für eine Smart City in Europa. Auch in Wien sind nicht alle einer Meinung. Auch dort wird politisch gerungen. Dennoch ist ein durch EU-Gelder alimentiertes, umfassendes Projekt entstanden. Wie hat Wien das geschafft?
Die Smart City Wien verstehe ich heute noch als ein Konzept, in dem beschrieben ist, wie man was in Zukunft machen könnte. Es ist noch sehr wenig oder praktisch nichts umgesetzt. Aus meiner Warte gesehen, handelt es sich hier um ein klassisches Stadtentwicklungsmarketing.
Blendet Kopenhagen ebenfalls?
Dänemark ist in der Digitalisierung viel weiter vorangeschritten. Hier existiert ein Fundament, das das zentrale Angebot von Diensten übers ganze Land ermöglicht. Der Staat hat Daten zur Verfügung und kann seine Bürger in Smart-City-Konzepte einbinden, unabhängig von privaten Anbietern.
Diese Vorstellung ist für die Schweiz Science-Fiction.
In der Schweiz wird es diese Entwicklung vielleicht nie geben, aber in anderen Ländern schon. Ein Effekt wäre dann: In der Schweiz existieren keine Smart Citys Wir geben uns mit Plakatsäulen im öffentlichen Raum zufrieden, die digital ihre Plakate wechseln können.
Macht das den Reiz des chinesischen Systems für kleinräumige Demokratien aus: Durchgriffsrechte auf alle Bürger. Alle Daten dem Staat. Das Private ist öffentlich, übrigens und ironischerweise ein -Slogan der 68er-Revolte?
Die Datenkontrolle und das Datenmanagement der Bürger sind demokratisch durchaus zu legitimieren. Es muss nicht immer von einem despotischen Staat die Rede sein. Auf anderen Feldern sind solche Entscheide auch in der Schweiz bereits schon gefallen.
Was sprechen Sie an?
Die CO2-Reduktion um 43 Prozent bis 2030 ist nicht in Luzern, sondern vom Bund beschlossen worden. Sie ist vorgegeben. Auch Luzern muss eine Idee haben, wie man die Menschen dazu bringt, ihren CO2-Ausstoss zu verringern. Man müsste einen Plan haben. In solchen Plänen könnte die Smart -City eine wichtige Rolle spielen. Und der CO2-Fall zeigt, dass es bei derartigen Eingriffen am politischen Willen liegt.
Sind das mögliche Einfallstore zu einer Smart City, die Science-Fiction doch noch real werden lassen: Ökologie, CO2, Energiewende?
Die Frage der Mobilität, die wir uns vor dem Hintergrund von Städtebau und Lebensqualität künftig leisten wollen, ist in einer Smart City wahrscheinlich besser zu beantworten als in einer analogen Stadt.
Was ist der Nutzen, den ich als einfacher Bürger in einer Smart City habe, gewissermassen als Gegenwert dafür, dass ich meine Daten einer staatlichen Institution übergebe?
Man kann heute nirgendwo live eine Langfristbetrachtung machen. Es gibt schlicht noch zu wenig lange gute Fälle. Als Bürger weiss ich, wie ich mich in einer Stadt effizient bewege. Ich kenne die Verkehrsmittel und weiss, wann sie fahren, wie, wohin, und wann nicht. Ich erkenne weit voraus Staus, ohne gefragt zu haben. Administrative Prozesse werden für mich einfacher, vor allem im Bereich Road Pricing, über das diskutiert werden muss, sollten wir die CO2-Vorgaben ernsthaft einhalten wollen.
Vielfach kommt es anders, als man denkt. Visionäre liegen oft falsch. Könnte es für eine Stadt ein Wettbewerbsvorteil sein, analog zu bleiben und erst spät digital aufzubauen?
Sie sprechen von einer Ballenberg-Strategie, so nenne ich das. Man kann die analogen Systeme in Entwicklungsländern oder in ärmsten Ländern begutachten. Dort finden sie unfreiwillig statt. Vielleicht ist es auch dereinst reizvoll für Touristen in Luzern, die besichtigten können, wie früher eine Stadt ausgesehen und funktioniert hat.
Jetzt spotten Sie.
Gar nicht. Ich meine das ernst. Mit Smart City will Manchester den Verkehr bis 2030 um 20 Prozent vermindern. In Luzern wäre dies analog nicht möglich. Wenn der Verkehr in Luzern aber ebenfalls um 20 Prozent abnehmen würde, hätten wir einen Zustand wie heute während den Sommerferien. Dieser Effekt ist attraktiv und könnte die Stadt gegenüber einer anderen lebenswerter machen. Wir sprechen von Standortvorteilen. Man muss sich einfach überlegen, welche man haben will.
Überzeugt. Wo muss angefangen werden, wenn man eine Smart City werden möchte?
Zuerst müssen wir definieren, über welche Themen wir sprechen im Zusammenhang mit Smart City. Was wollen wir anpacken? Smartmeter, 5G, Glasfasern, Mobilität, Energie. Danach müssen wir herausfinden, ob wir die richtige Grösse und die richtigen Partner haben. Können wir alles finanzieren? Schaffen wir es über die kritische Grösse hinaus? So gehen wir Schritt für Schritt – von Thema zu Thema. Überdies, wir haben diese Themen bereits auf dem Tisch und sind zum Teil gesetzlich verpflichtet, aktiv zu werden und Verbesserungen zu realisieren.
Warum geschieht das heute nicht?
Wir haben heute in den entscheidenden Gremien nicht den Druck von Mitbewerbern wie in der Privatwirtschaft. Hier sind nicht globale Unternehmen in Sicht, die plötzlich in diesen Markt drängen.
Stimmt nicht. Anbieter von mietbaren Elektrovelos, Uber oder Airbnb sind doch genau solche Bringer von unangenehmen Neuerungen, die den politischen Entscheidern Beine machen.
Da haben Sie recht. Aber das sind Nadelstiche, die unangenehm sind, jedoch unsere Entscheider nicht aus der Komfortzone drängen. Unsere kleine Welt funktioniert raffiniert. Wir sind reich in verschiedenster Hinsicht. Es ist schwierig, hier einen Aufbruch herbeizuführen.
Zur Eingangsfrage: Ist es Zufall, dass wir von Smart Citys sprechen, oder sind ländliche Gebiete hier wirklich ausgenommen?
Ich habe bis hierhin noch kein Konzept gesehen, das in ruralen Gebieten funktioniert. Wir sprechen ausschliesslich von urbanen Räumen. Aber davon sind wahrscheinlich siebzig Prozent der Schweizer Bevölkerung betroffen.
Bin ich zum Beispiel in der Gemeinde Pfaffnau am Rande des Kantons Luzern von Smart-City-Konzepten ausgeschlossen?
Keineswegs. Pfaffnau ist so gut erschlossen, dass wir es mit einem Aussengebiet im Grossraum New York vergleichen sollten. Wir müssen in weltweiten Massstäben denken.