Früher Gäste. Heute Einheimische auf Zeit.

Und was wir alle nicht bedacht hatten: Der Wohnraum in unseren Zentren wird knapp.

TEXT Bruno Affentranger
Lesezeit 8 Minuten

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esitzen Sie einen Kärcher? Oder eine Bohrmaschine? Einen Grill? Leihen Sie diese Werkzeuge manchmal den Nachbarn aus? Sie könnten weitergehen. Viel weiter.

In der Schweiz sind Haushalte überdurchschnittlich gut mit technischen Werkzeugen und Maschinen aller Art ausgerüstet. Einmal pro Sommer, vielleicht einmal pro Monat kommen sie zum Einsatz. Den Rest der Zeit schlummern sie nutzlos in einer Abstellkammer oder im Keller. Fast vergisst man, dass man sie besitzt.

Diese Werkzeuge stellen totes Kapital dar. Werte, für die Sie einst Geld ausgegeben haben, in manchen Fällen gar nicht mal wenig.

Wie wäre es nun, wenn Sie diese Werkzeuge in der toten Zeit, in den temporären Zwischenräumen also, in denen Sie sie nicht nutzen, anderen für Geld zur Verfügung stellen würden? Sie könnten etwas Geld verdienen und würden wahrscheinlich dadurch sogar den Konsum etwas drosseln und zur ökologischen Besinnung in der Gesellschaft beitragen.

Dieses beschriebene Phänomen – das Teilen auf Zeit – ist nichts anderes als die Kernidee der vielzitierten «Sharing Economy». Diese Ökonomie des Teilens erfährt dank dem Internet einen gewaltigen Schub und lässt sich erstmals über weite Distanzen hinweg praktizieren. Autos werden geteilt. Arbeitskräfte sowieso. Zimmer auch. Ganze Wohnungen. Online-Anbieter wie das kalifornische Airbnb treten als Börse für die Wohnungsangebote auf und nehmen zwischen 10 bis 20 Prozent Provision von den Mietbeträgen. Bereits sind in der Schweiz alleine auf Airbnb mehr als 60 000 Angebote aufgeschaltet. Das kommt einer Verdreifachung innerhalb von knapp dreieinhalb Jahren gleich. Weltweit buchen mehr als zwei Millionen Menschen pro Tag eine Wohnung beziehungsweise entrichten ihre Mietgebühr an Vermittler wie Airbnb.

Das Gute daran: Die unbenutzten Wohnungen werden belebt, vor allem in den Alpenorten, wo noch immer Zweitwohnungen die meiste Zeit während des Jahres unbewohnt vor sich hinserbeln. Und als Nebeneffekt hält mit den Besucherinnen und Besuchern auf Zeit die Welt Einzug, und mit ihnen andere Meinungen, neue Sichtweisen, kulturelle Eigenarten, die eventuell befruchtend und unterhaltend wirken.

CHF 111 pro Nacht

Eine 2-Zimmerwohnung kann in Zürich im Jahresmittel für netto CHF 111 pro Nacht via Airbnb vermietet werden. Dabei darf ein Anbieter mit einer Auslastung der Wohnung von 73 Prozent rechnen.

Willkommen in der schönen Welt des Miteinander

Leider gibt es da ein kleines Problem: Business. Geschäft. Geld scheffeln.

Kürzlich hat ein Luzerner davon erzählt, wie er mit seinem Innenausstattungs-Unternehmen soeben einen neuen Auftrag erhalten habe. Er solle ein halbes Dutzend Wohnungen neu einrichten und für die Ausmietung bereitmachen. Nicht an irgendwen, sondern an die Kunden, die über Airbnb oder ähnliche Plattformen Betten mieten würden, genauso wie sie bisher Hotelzimmer reserviert hätten Nachdenklich stimme ihn, so der Unternehmer, dass in diesen Stadtwohnungen bisher normale Langzeitmieter gehaust hätten. Sie haben schlicht gewohnt. Diese Appartements wurden dem Wohnungsmarkt entzogen. Ob kurzzeitig zur Zwischennutzung oder auf Zusehen hin, liess sich nicht ausmachen. Einem Wohnungsmarkt entzogen, der gerade bei den Mieten in zentraler Lage nicht gerade mit ausserordentlich vielen Angeboten aufwartet. Zwar wächst der Leerwohnungsbestand in den Agglomera-tionsgebieten der Innerschweiz gemäss allen verfügbaren Statistiken stetig und langsam. Doch im Zentrum ist seltener etwas zu haben.

Die Erklärung für den Trend weg von der Langzeitmietwohnung im Zentrum hin zur Airbnb-Wohnung ist einfach mit einer Renditerechnung zu demonstrieren. Es lohnt sich. Die Research-Abteilung der Raiffeisen hat unlängst interessante Kalkulationen angestellt und nachgewiesen, dass Anbieter in Innenstädten wie zum Beispiel Luzern ohne Probleme pro Airbnb-Schlafplatz Jahresumsätze von um die 20 000 Franken oder sogar darüber erzielen können. «Der mittels Airbnb erzielbare Umsatz ist massgeblich von der touristischen Attraktivität einer Region und der Grösse des Angebots an Wohnungen abhängig. Bezüglich Attraktivität schwingen erwartungsgemäss die Innerschweiz, das Berner Oberland und die Zentren Zürich, Genf und Bern oben aus», heisst es in der Studie. Oder anders gesagt: Wenn in Luzern bei Langzeitmieten Eigenkapitalrenditen von vielleicht zwei bis maximal fünf Prozent möglich sind, bieten Airbnb-Lösungen bis zu zwölf Prozent Eigenkapitalrendite! Damit ist gemeint, dass die Wohnungseigentümer pro damals beim Kauf eingesetztem Franken rund 12 Rappen pro Jahr herausziehen. Das Kapital arbeitet, wie es so schön heisst. Und das nicht zu knapp.

Besonders attraktiv ist diese Zahl in einer Zeit, in der die Anlagemöglichkeiten vernichtend klein sind. Wer auf Nummer sicher gehen will, kauft Staatsanleihen. Zehn Jahre laufende Schweizer Staatspapiere – eine Bank und sicher wie nichts anderes – notieren klar im Minusbereich. Man muss also bezahlen, dass man das Kapital geben darf. Der sinkende Euro im Verhältnis zum Schweizer Franken sowie die einbrechenden Aktienmärkte wegen der Corona-Krise und den einhergehenden Unsicherheiten diskreditieren weitere Anlagealternativen. Was also tun mit dem Geld? In Immobilien stecken und aus den Wohnungen Airbnb-Angebote machen. Ganz einfach.

Diese Entwicklung versetzt der schönen «Sharing-Economy»-Idee einen wüsten Schlag. Sie verkommt zur romantischen Ahnung von etwas, das gut gemeint und sogar einmal eine Weile gut war. In der Innenstadt von Florenz sind bereits zwanzig Prozent der Mietwohnungen dem Markt entzogen und auf Airbnb oder ähnlichen Plattformen im Angebot. Im zentralen Quartier von Lissabon, im Stadtteil Alfama, sind es gemäss Studien schon 55 Prozent. Dort sind die Renditenunterschiede noch viel höher als in der Schweiz und bei uns in Luzern.

Die Richtung, welche die Entwicklung eingeschlagen hat, ist eindeutig. Unser Ruf und unser Wunsch nach «Einheimischen auf Zeit» hat Auswirkungen, mit denen wir nicht gerechnet haben und die sich nicht mehr ohne Eingriffe kontrollieren lassen.

600 Plus

In der Stadt Luzern werden derzeit weit über 600 Angebote auf Airbnb offeriert. Sie reichen vom schönen, kleinen «Heimetli» am Rande des Gütschwaldes für zwei Personen bis zum B & B in herrschaftlicher Lage.