Wie es in Luzern wirklich ist

«Sharing Economy», teilen, weitergeben, tote Räume nutzen – dass ist alles gut und recht: Was aber soll man tun, damit Wohnraum nicht einfach im grauen, ungeregelten Bereich verschwindet? Was tun andere?

TEXT Bruno Affentranger
Lesezeit 7 Minuten

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unächst hat der Luzerner Stadtrat gezögert. Sollte er angesichts eines florierenden, technologisch getriebenen Vermietungsmodells einen ultraliberalen Weg gehen und alles weiterhin dem freien Markt überlassen? Oder sollte er eingreifen, lenken, Abgaben verlangen, verbieten, androhen und bestrafen? Er hat sich im August letzten Jahres entschieden, etwas zu tun. Er hat das verlauten lassen.

Seither wird im Stadthaus analysiert und gewertet. Die einen Eingriffsvorschläge werden gegen die anderen abgewogen und es zeigt sich vor allem eines: Einfach ist es nicht. Airbnb, HomeAway, booking.com und wie sie alle heissen fordern intellektuell und rechtlich heraus. Sie sind als Vertreter der «Sharing Economy» schlicht eine neue Spezies in einem Habitat, das nicht auf sie vorbereitet ist. Doch das war schon zur Zeit der Erfindung der Eisenbahn oder zum Start des Siegeszugs des Internethandels der Fall. Echte Neuerungen begeistern und überfordern zugleich.

Im Moment sind rechtliche Abklärungen im Stadthaus im Gange, und das macht durchaus Sinn. Denn man kann vor allem auch viel Falsches tun und vielleicht unwissentlich negative Folgen auslösen. Doch der Reihe nach.

Airbnb gibt Kurtaxen weiter
Einen ersten Eingriff hat der Kanton Luzern vor Kurzem vollzogen. Er hat mit dem klaren Branchenprimus, mit Airbnb, eine Einigung über die Kurtaxenabgaben erzielt.

Die Ausgangslage war: Die Hotels und Herbergen müssen pro übernachtendem Gast Taxen abgeben – warum sollte dies eine private, aber immerhin genau in diesem Segment tätige Online-Plattform nicht auch tun müssen?

Luzern hat heute nach Freiburg, Zug, Basel-Land, Basel-Stadt, Zürich und Schaff-hausen als siebter Kanton einen Modus Vivendi mit Airbnb gefunden. Das ist mehrfach erstaunlich: Die Höhe und vor allem die Berechnungsart der Kurtaxen variieren von Gemeinde zu Gemeinde stark. Eine
Einigung ist nur nach komplizierten Absprachen möglich. Ausserdem ist es nicht üblich, dass ein Unternehmen, das 2008 im Dunstkreis des Silicon Valley seine Welteroberung gestartet hat, Rücksichten auf klein-föderale Unterschiede und Befindlichkeiten nach Schweizer Tradition nimmt. Es ist sogar eine Ausnahme.

Doch Airbnb hat genau dies getan und sagt auf Anfrage nicht, weshalb dem so ist. Das Unternehmen mit Hauptsitz in San Francisco geht anderswo denselben Weg. Weltweit hat es mit über 400 Städten und Regionen sowie über eine nationale Kooperation mit 2000 französischen Gemeinden Vereinbarungen zum automatischen Einziehen der Tourismusabgaben geschlossen.

Die Summe der globalen Tourismusabgaben ist ein Fingerzeig, weshalb sich Airbnb so ins Zeug legt. Es geht um sehr viel Geld. Nach eigenen Angaben hätten die Amerikaner bisher über zwei Milliarden US-Dollar an Tourismusabgaben über Vereinbarungen erhoben. Für 2018 weise die Firma allein in der Schweiz mehr als 640 000 Franken an Tourismusabgaben aus, die sie automatisiert bei der Buchung von den Gästen eingezogen und an die Kantone oder Tourismusorganisationen weitergereicht habe.

Airbnb-Sprecherin Kirstin MacLeod moniert an diesem Punkt, dass ihr Unternehmen die bislang einzige digitale Plattform sei, welche die Zusammenarbeit mit den Behörden bei den Kurtaxen gesucht habe. Zu einem fairen Wettbewerb zwischen den digitalen Reiseplattformen würde sicherlich beitragen, wenn andere Plattformen dem Beispiel der Kalifornier folgen und ebenfalls die Tourismusabgaben automatisiert einziehen und ausschütten würden.

Wer weiss, dass das Airbnb-Business ein Volumengeschäft ist, in dem es um Anteile in der Höhe von Prozentpunkten oder noch weniger geht und in dem ausserdem die Kundenloyalität überaus stark am Preis hängt, erkennt auch, dass hier die öffentliche Hand nochmals gefordert ist – in einer Stossrichtung, die man zu Beginn der Diskussion eigentlich nicht erwartet hätte. Es kann vor dem Hintergrund einer Rechtsgleichheit nicht sein, dass Airbnb zwar zahlt, alle anderen digitalen Anbieter dies aber nicht tun und im Endeffekt billigere Preise für Vermietwillige anbieten können.

Wie es in Luzern wirklich steht
Und nun also wartet die nächste Aufgabe: Wie bringt man es fertig, die rein kommerziellen Langzeitanbieter aus dem Vertriebskanal Airbnb zu verbannen, damit sie dem Wohnungsmarkt in Zentren nicht ständigen Wohnraum entziehen?

Bevor diese Frage angegangen werden kann, muss die Analyse über den Zustand gemacht sein. Hier herrschen diametral auseinandergehende Sichtweisen. Airbnb lässt über Sprecherin Kirstin MacLeod ausrichten, dass die «Mehrheit der Gastgeber auf Airbnb sogenannte Homesharer» seien, «also Privatpersonen, die einzelne Zimmer in ihrem Zuhause oder gelegentlich die ganze Wohnung an Reisende aus aller Welt vermieten, wenn die Gastgeber beispielsweise auf Dienstreise oder im Urlaub sind».

Kirstin MacLeod sagt weiter: «Darüber hinaus nutzen auch immer mehr traditionelle Übernachtungsbetriebe, wie zum Beispiel Boutiquehotels, klassische Ferienhäuser und Chalets sowie Bed & Breakfasts die Airbnb-Plattform, um weitere Zielgruppen zu erreichen.»

Damit liegt sie richtig. Ein kurzer Buchungsausflug auf die Plattform bestätigt dies. Der Distributionskanal ist attraktiv – auch für traditionelle Anbieter.

Die Aussage über die mehrheitlich als «Home-sharer» aktiven Wohnungsmieter oder -besitzer lässt sich hingegen nicht stützen. Im Stadthaus hat sich die Stadtplanung selber der Sache angenommen und eigene Statistiken ausgewertet. Steueramt, Einwohnerdienste und andere haben ihre Daten abgeliefert. Die Analyse zeigt, dass rund achtzig Prozent der in Luzern über Airbnb angebotenen Betten im Jahr 2018 professioneller und temporärer Natur sind (siehe unsere Grafik auf dieser Seite). Dieser Trend ist über die Jahre stark ansteigend. Deshalb darf man heute davon ausgehen, dass aktuell ein höherer Anteil von Angeboten wenig bis nichts mit der einstigen Vorstellung von «Sharing Economy» zu tun hat.

Was die anderen tun
Airbnb und Co. sind weltweite Phänomene. Die Kalifornier sind inzwischen der global grösste Marktplatz, auf dem Reisende über sieben Millionen Unterkünfte buchen können. Nach Angaben der Firma haben bis heute weltweit mehr als eine halbe Milliarde Gästeankünfte stattgefunden, die direkt durch Airbnb vermittelt worden sind. Die Plattform ist in über 191 Ländern und Regionen sowie in 62 Sprachen verfügbar.

Warum das von Wichtigkeit für Luzern ist?
Weil daraus gefolgert werden kann, dass auch noch ein paar andere Landstriche in der Welt mit denselben Heraus- und Überforderungen zu ringen haben. Wie machen sie es?

San Francisco zum Beispiel, die Stadt, die Airbnb als sein Zuhause bezeichnet, ist rigoros. Wer nicht pro Tag und pro Angebot eine gültige Registration in den Listen der Stadt vorweisen kann, wandert ins Gefängnis. Bis zu sechs Monate Freiheitsentzug drohen.

In Barcelona wird eine Busse von 30 000 Euro fällig, wenn man keine Registrierung als Wohnungsanbieter für touristische Zwecke nachweisen kann. Dumm nur, dass es seit bald vier Jahren praktisch unmöglich ist, sich neu registrieren zu lassen.

Es gibt aber auch andere Modelle, die nicht weniger drakonische Strafen vorsehen, sollte man nicht gehorchen: In München darf jeder seine Wohnung während maximal acht Wochen pro Jahr an Touristen untervermieten und auf Airbnb anbieten. Wer darüber hinausgeht, zahlt bis zu 500000 Euro Busse wegen Zweckentfremdung von Wohnraum. In New York gibt es ebenfalls eine zeitliche Limite, sie beträgt maximal dreissig Tage pro Jahr. Grosszügiger zeigt sich Paris. Vier Monate jährlich darf eine Wohnung an Reisende vermietet sein. Wer darüber hinausgeht und sich zudem nicht registriert hat, riskiert eine Strafe von aktuell 12 500 Euro.

Das Problem bei alledem ist in Berlin zu besichtigen. In der deutschen Kapitale sind ebenso harte Grenzen gezogen, doch es gibt kaum jemanden, der sie beachtet Weil die Grenzüberschreitungen nicht verfolgt und schon gar nicht geahndet werden. Die Dunkelziffer nicht erkannter Verstösse liegt derzeit bei rund achtzig Prozent. Es fehlt schlicht und einfach an Personal und Polizei dafür.

Berlin ist nicht alleine. Das Problem ist bekannt. Womit man bei der klassischen Frage des Staates angelangt ist, ob sich ein Verbot beziehungsweise seine Durchsetzung lohnt, wenn man den Aufwand dafür in Abzug bringt. Könnte es sein, dass der Aufbau einer Airbnb-Polizei mehr kostet  als der Verlust von Steuersubstrat wegen weg- oder gar nie zuziehender Mieter? Und auf welcher rechtlichen Basis will man eine Regelung bauen: auf dem Bau- und Zonenreglement, das damit erneut eine Abänderung brauchen würde?

Man beginnt zu verstehen, dass die Stadt Luzern und alle anderen Städte dieser Welt noch eine Weile brauchen werden, bis sie die Antworten finden, welche am wenigsten Schaden anrichten.

Die gute Nachricht ist: Man ist am Werk.