brechen wir auf Zuerst raus aus der eigenen «Bubble»

Ignorieren wir Denkverbote und Diskussionsgrenzen.
Zusammen denken, planen, Spass haben und tun.

TEXT Bruno Affentranger
Lesezeit 4 Minuten

L

uzern ist das Zentrum der Zentralschweiz – und dieses befindet sich vor der Tür eines Zeitraums, in dem wegweisende Entscheide getroffen werden. Man kann mit Fug und Recht davon sprechen, dass Luzern vor einem historischen Abschnitt steht, in dem vieles clever zusammengedacht und sauber projektiert, aber genauso vieles falsch angepackt und zerredet werden kann. Warum das?
Damit man die Bedeutung richtig einordnen kann, ist zunächst ein kurzer historischer Umweg nötig: 2021 jährt sich die Eröffnung des Bahnhofs von 1896 zum hundertfünfundzwanzigsten Mal. Bereits vierzig Jahre zuvor war der erste Bahnhof in Betrieb gegangen. Doch nicht die erste Ausgabe, sondern die 125 Jahre des zweiten, grossen Kuppelbaus zu feiern, ist wichtiger und richtig. Erst der neue Verkehrsknotenpunkt von 1896 mitten in der Stadt liess diese sich richtig entfalten.
Die bestehenden Geleise wurden um siebzig Grad gedreht – so konnte unter anderem die Pilatusstrasse freigespielt werden. Das Quartier Hirschmatt und Neustadt nahm mitten in der einsetzenden, durch Optimismus und unternehmerischen Wagemut gekennzeichneten Blütezeit Gestalt an. Luzern wuchs auf dem linken Ufer und schlug die Richtung ein, an deren Ende die Stadt steht, die wir heute kennen.
Das Jahr 1896 und seine planerische Vorlaufzeit ereignet sich soeben wieder.
Im übertragenen Sinn natürlich. Ganz vergleichbar ist die Situation nicht: Luzern erwacht heute nach einer durchgestandenen Krise, welche die Wirtschafts- und Finanzkrisen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bei Weitem übertrifft. Doch weniger die Analogie von negativen Voraussetzungen überrascht, sondern mehr jene der positiven Aussichten.

Luzern steht vor einem historischen Abschnitt, in dem vieles clever zusammengedacht, aber genauso vieles falsch angepackt und zerredet werden kann.

Der Bahnhof als Dosenöffner
Wie 1896 sind die Planung und der Bau eines zentralen Drehpunktes in Aussicht, der vieles im Herzen dieser Stadt und Region verändern wird: Die Rede ist vom Durchgangsbahnhof, dessen planerische Grundlagen bereits gelegt, die Auswirkungen jedoch noch in keiner Weise regional diskutiert, gedanklich erkannt oder genutzt und damit vorbereitet sind. Isoliertes städtisches Planen im Kleinen hilft gewiss nicht. Grosse Vorhaben verlangen nach grossen Ideen und Zusammenhängen. Dafür ist die offizielle Stadt Luzern alleine viel zu klein und zu stark auf sich selber fokussiert.
Wie auch immer man sich zum Grossvorhaben stellt, es wird erstens viel Fläche in der Innenstadt freispielen und für neue Ideen bereithalten, und es wird zweitens die Distanzen innerhalb der Region dramatisch schrumpfen lassen. Der S-Bahn-Effekt, zu besichtigen in Zürich, ist nicht zu unterschätzen: Er eröffnet Chancen und verbindet verkehrstechnisch Areale, die bisher nichts miteinander zu tun hatten. Ebikon wird zum Beispiel in Dialog zu Hergiswil am See treten. Ausgang in Emmen (Luzern Nord), Wohnen in der Innenstadt, Arbeiten in Horw (Luzern Süd) oder in Dierikon (Rontal) wird eins. Die S-Bahn des Durchgangsbahnhofs lässt Wegdistanzen schrumpfen.
Diese Areale sollten wir nicht nur als physische, geografische Räume verstehen. Wir werden ein mentales Zusammenwachsen mit allen Konsequenzen und Herausforderungen erleben.

Der Elefant im Raum
Der Durchgangsbahnhof ist der erste Elefant im Raum, wie es im Englischen so schön heisst, wenn man das Unübersehbare meint, das aber noch von niemandem angesprochen wird. Der zweite Elefant, an dem kein Vorbeikommen ist: Die kantonale Verwaltung – eine der grössten Arbeitgeberinnen des Zentrums – zieht weg Richtung Luzern Nord. Dort, am Seetalplatz, entsteht soeben das zweite Zentrum. Luzern wird erstmals bipolar, und das ist positiv gemeint. Damit gehen einige Chancen einher. Zum Beispiel werden auch in diesem Fall wieder Räume in der Innenstadt frei, die es anderweitig zu nutzen gilt. Nur, wofür? Durch wen?
Diese Fragen mögen unangenehm sein, aber sie eröffnen in erster Linie Möglichkeiten. Man müsste sie jedoch packen. Und spätestens jetzt beginnen, sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Über alle Parteigrenzen hinweg und durch alle Hüllen der allgegenwärtigen «Bubbles» hindurch. Das Verharren in Meinungsblasen und auf geerbten Pfründen hilft nicht. Gefragt sind neue zivilgesellschaftliche Verbindungen und Denkallianzen, die politische Auseinandersetzungen und ideologische Wettkämpfe keineswegs ausschliessen sollen! Gesucht sind Menschen aus Kulturumfeldern, aus der Bildung, der Seelsorge, der Privatwirtschaft, aus Verbänden und Vereinigungen, die Grenzen überschreiten und die Chancen des Zukunftsgewinns höher einschätzen als die eigenen Verlustängste.
Deshalb, und weil das Zentrum der Zentralschweiz endlich aus dem pandemischen Dämmerschlaf erwachen muss, brechen wir auf. «Luzern bricht auf» tut genau das.

luzernbrichtauf.ch

«Luzern bricht auf» – Das Manifest

Sechs Stossrichtungen für einen gemeinsamen und nachhaltigen Aufbruch aus dem Stillstand

Aufbruch wagen
Luzern entzückt mit der Lage am See und dem Blick aufs Bergpanorama. Stadt und Region verharren und verpassen mögliche Chancen zu ihrer Entwicklung. Impulse scheitern an lokaler Enge und eingespielten Abläufen. Die Pandemie verstärkt diese Lage. Luzern scheint eingefroren, gelähmt. Es braucht neue Impulse, aus diesem Stillstand aufzubrechen. Zuversichtlich und gemeinsam wollen wir den Aufbruch wagen und die nachhaltige Entwicklung Luzerns angehen.

Zivilgesellschaft wird aktiv
Wir bündeln das Engagement aus Gesellschaft, Wirtschaft, Kultur, Bildung und Sport. Wir wollen als Zivilgesellschaft agieren und nicht auf die langsamen, oft hinderlichen Abläufe der öffentlichen Hand reagieren. Wir brechen auf, schaffen Fakten und fördern die Diskussion darüber, welches Luzern wir in den nächsten 25 Jahren denken und bauen, in welchem Luzern wir leben wollen, das auch künftigen Generationen Chancen zur Entwicklung gibt.

Krise als Chance
Die Krise fordert uns heraus, über Luzerns Zukunft nachzudenken, Perspektiven zu entwickeln und über Ideen und Lösungen zu streiten. Nehmen wir sie als Chance. Aus den gesellschaftlichen Herausforderungen der letzten Monate wollen wir Erkenntnisse sammeln und aus den Belastungen und Einschränkungen von Branchen und Arbeitsplätzen Lehren ziehen. Im Zentrum steht dabei der Tourismus und dessen Partnerbranchen wie Gastronomie und Detailhandel, aber ebenso das Verhalten der öffentlichen Hand und der Mangel an digitalen Angeboten. Die Resultate bilden Basis für die Diskussionen nachhaltiger Lösungen.

Im Austausch mit der Welt
Luzern ist international und soll es auch bleiben. Handel und Transit gehören zu Luzern, ebenso Begegnungen mit Gästen aus nah und fern. Doch die Pandemie führt uns noch deutlicher vor Augen, dass wir die seit über 175 Jahren gewachsene Tourismusindustrie neu denken müssen. Der Austausch mit der Welt, die Begegnungen mit Gästen machen Luzern attraktiv und führen der Stadt den nötigen Sauerstoff für eine spannende und faszinierende Weiterentwicklung zu. Damit gilt es qualitative Akzente zu setzen: mit einem zukunftsgerichteten Angebot an Mobilität, offenen Förderung kultureller Programme und  Sportevents, mit dem sorgfältigen Umgang mit Stadtraum und Landschaft, mit einem nachhaltigen Angebot für den Aufenthalt, mit Foren über gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Entwicklungen. Luzern präsentiert sich als Stadt des Dialogs und ist auch offen, Gästen in Not Heimat zu bieten.

Potenzial nutzen
Unser Lebensraum, unsere Arbeitsplätze und unser Image gründen auf verschiedenen wirtschaftlichen Pfeilern. Das dienstleistende und produzierende Zentrum der Zentralschweiz darf sich nicht nur auf das Image der Tourismusstadt verlassen. Es braucht zusätzlich neue wirtschaftliche Akzente. Die digitale Entwicklung bietet Möglichkeiten dazu, die jetzt genutzt werden müssen. Eine Stadt ist nie fertig gebaut und entwickelt sich; zum Beispiel entlang der Reuss zur Verbindung mit dem neuen Zentrum Luzern-Nord. Zwei historische Fenster öffnen sich: Die Verlegung der kantonalen Verwaltung nach Luzern-Nord schafft Freiraum für neue Arbeitsplätze in der Luzerner Innenstadt. Gleichzeitig entstehen dank dem Durchgangsbahnhof weitere grosse, freie Flächen und die Verkehrsdistanzen im Raum Luzern werden schrumpfen. All diese Faktoren werden von der Forschung an unseren Hochschulen begleitet und verstärkt. Der Bildungs- und Forschungsstandort Luzern soll zum Labor für eine erfolgreiche Smart Region werden. Wir wollen unsere Hochschulen und die Universität als Impulsgeber einbeziehen. Ihre Absolventinnen und Absolventen sollen Gelegenheit erhalten, ihre Visionen und Vorschläge für eine nachhaltige Zukunft in die Diskussion einbringen zu können.

Gemeinsames Dach
Wir bauen ein gemeinsames Dach und schaffen Räume für Begegnungen, Programme und Diskussionen, wir als Engagierte aus der Kulturszene, aus sozialen Netzwerken, aus Bildungs- und Sportkreisen, aus Tourismus und Gastronomie, aus Wirtschaftsbranchen und Stadtentwicklungsforen. Unsere Themen sind vielfältig und reichen weit über den Tourismus hinaus. Wir wollen Ideen einbringen, die Diskussion fördern und Fakten erarbeiten. Im Zentrum bleiben die Fragen: Welches Luzern wollen wir in den nächsten 25 Jahren denken und bauen? In welchem Luzern wollen wir leben, das auch künftigen Generationen Chancen zur Entwicklung gibt. Diese Fragen wollen wir gemeinsam und im Dialog beantworten, für eine nachhaltige Stadtentwicklung und im Austausch mit unseren Nachbarinnen und Nachbarn.

Brechen wir gemeinsam auf!
Luzern, 14. Mai 2021