Machen wir Kunst – überall
Blumentöpfe in öffentlichen Räumen? Verlegenheitslösungen oder Motorräder auf dem Parkplatz? Es würde auch anders gehen – Südkoreas Hauptstadt hat da eine Idee.
Die Sentenz, die dem Dirigenten Herbert von Karajan zugesprochen wird, könnte besser nicht zur Grundidee eines südkoreanischen Bürgermeisters passen. Seit 26 Jahren existiert in der Metropole Seoul das Gesetz zur Installation von Kunst an Gebäuden. Denn in der Riesenstadt, in deren Kern zehn Millionen Menschen wohnen und in deren Agglomerationen knapp die Hälfte der 52 Millionen südkoreanischen Einwohnerinnen und Einwohner leben, ist es nicht überall nur schön. Aus einem Meer an ästhetisch fragwürdigen Zweckbauten erheben sich dann und wann Inseln, an denen sich das Auge erfreuen mag. Es ist ein riesiges Durcheinander von nüchternen und sterilen Hochhäusern, die aus den preislich explodierenden Flächen emporsteigen, ein Gemisch aus Avantgarde und der seltsamen Gemütlichkeit, die Backsteinhäuser vermitteln können. Hier ein Park, dort ein betongraues Quartier, wieder eine verspiegelte Wolkenkratzerfassade, ein Palast, ein Tempel, alte Mauern, alles gerade so, als sei das Bauen einer Megastadt das fortschreitende Resultat der menschlichen, planerischen Trägheit, die das ungeordnete Wuchern geradezu herausfordert.
Kunst per Gesetz
Und doch ist in dieser Stadt etwas anders als anderswo. Vor einer der Glasfassaden lässt ein Mädchen unzählige farbige Luftballons aufsteigen. Ein Moment der Poesie, der innehalten lässt in diesem Chaos. Das Mädchen und die Ballons sind gebaut. Aus Beton und Stahl und doch federleicht. Das ist Kunst. Das ist Programm.
Gegen die beschriebene Trägheit kämpft Seoul seit 1995 an. Das erwähnte Gesetz schreibt vor, dass bei Gebäuden mit einer Nutzfläche von mehr als 10 000 Quadratmetern 1 Prozent der Baukosten für öffentliche Kunst zu reservieren ist. Dadurch entsteht meist in den öffentlich zugänglichen Räumen vor den Häusern Kunst. In mehr als 8000 Fällen ist das bislang der Fall.
Das ist eine gute Idee für die Verschönerung von Plätzen und Räumen. Ein Lächeln wegen einer Figur, losprusten oder nur staunen, das würde uns guttun. Es würde den Alltag unterbrechen und das Denken vielleicht in neue Bahnen lenken. Die Idee könnte auch in der wachsenden Region Luzern gewinnbringend für die Bevölkerung angewendet werden.
Vielleicht einfach nicht per Gesetz, sondern kraft der Vernunft. Denn Seoul zeigt auch gleich, dass gesetzlich verordnete, indes durch Private berappte Verschönerungen nicht recht gelingen. Der hämmernde Riese oder die tanzenden Figuren mögen gelungen sein, doch so vieles erinnert in seiner Beliebigkeit und Unbedarftheit viel eher an kitschige Gestecke oder zufällig herbeigeführte, rostige Peinlichkeiten, vor denen man besser die Augen verschliesst. Wie so oft, wenn der Staat verordnet: Aus gut gedacht und nicht recht gelungen wird noch schlechter organisiert. Inzwischen wacht eine eigene Kommission über die künstlerischen und ästhetischen Mindestanforderungen, doch richtig besser will es nicht werden. Vielleicht auch, weil zum Glück Kunst auf ihrem Siegeszug über die Trägheit immer eigene, ungeplante Wege geht. Und auch, weil nicht alles gleich gut ist. Das wissen wir auch dank Pablo Picassos Zuruf nur zu gut. Der Maler meinte: «Es gibt Maler, die die Sonne in einen gelben Fleck verwandeln. Es gibt aber andere, die dank ihrer Kunst und Intelligenz einen gelben Fleck in die Sonne verwandeln können.»
Manchmal müssen wir uns also mit gelben Flecken zufriedengeben.
Und trotzdem, die Idee von mehr Kunst in öffentlichen Räumen wäre im Falle Luzerns immer noch zu überlegen. Lieber gelbe Flecken und weniger Trägheit als gar nichts. Manchmal wird eine Sonne die Belohnung sein.