Neuromarketing – alles ist Kopfsache
Was geschieht, wenn wir online ein Markenlogo, eine Farbe oder einen einprägsamen Satz sehen? Wie kann es sein, dass wir bei einer Marke dabeibleiben und sogar Fans werden, und bei einer anderen einfach wegklicken – immer ohne uns dessen bewusst zu sein. Auf den Spuren des Unbewussten.
Das Gehirn benötigt nur 50 Millisekunden, um einen ersten Eindruck von einem Webshop zu gewinnen – ein Gefühl, das darüber entscheidet, ob ein Websurfer weiter auf diese Seite klickt oder sie unverzüglich verlässt, um sich woanders umzusehen. Das sagt eine von Google erstellte Studie. Sie hat sich mit der Bedeutung des Webdesigns für die Werturteile der Surfer befasst. Die Studie widerspiegelt, wie das Unterbewusstsein für bis zu 95 Prozent aller unserer Käufe verantwortlich ist: Wie animieren uns Farben zum Kauf? Wie beeinflussen uns Emotionen, die wir nur beim Kauf bestimmter Marken wahrnehmen und die dazu führen, dass wir ihnen treu werden? Das sind Fragen, die gerade jetzt während der Pandemie mit dem unaufhaltsamen Wachstum des E-Commerce auf dem Arbeitstisch grosser und kleiner Unternehmer landen, die online verkaufen. Das Wissen über die Gedanken und Emotionen ihrer Kunden und wie sie funktionieren, ist zu einem wesentlichen Faktor für den Erfolg eines Unternehmens geworden.
Wissenschaftliche Erkenntnisse
Das Zauberwort heisst Neuromarketing. In dieser relativ neuen Disziplin verbinden Wissenschaftler Erkenntnisse der Hirnforschung und der Psychologie für Marketing- und Verkaufszwecke. Die Forscher beobachten und untersuchen mithilfe des Kernspintomografen die Reaktionen im Gehirn von Probanden beim Anblick bestimmter Marken, Logos, Gesichter oder Produkte. Funktionelle Magnetresonanztomografie heisst diese Methode.
Der Kernspintomograf macht die Aktivität der verschiedenen Gehirnareale über magnetische Schwingungen sichtbar. Auf diese Weise können die Hirnforscher festhalten, welche Bereiche im Gehirn wann reagieren, und sie können so die Wirkungsweisen bestimmter Stimuli differenzieren.
Von besonderem Interesse ist der Nucleus accumbens. Die Aktivität dieser Gehirnregion, die auch Belohnungszentrum genannt wird, löst bei Konsumenten ein Gefühl des Haben-Wollens aus und sorgt für ein Glücksempfinden. Vor dem Kauf schüttet das Gehirn in Erwartung einer Belohnung den Botenstoff Dopamin aus. Dieser bewirkt ein kurzfristiges Hochgefühl, das etwa auch eintritt, wenn man Alkohol konsumiert oder Videospiele spielt.
Genau hier dockt Neuromarketing an: Es geht um Marketingtechniken, die – unterstützt durch Studien und wissenschaftliche Beweise – objektiv das Verhalten von Käufern messen. Dadurch wird es möglich, effektivere Strategien zu entwickeln, die an die Gefühle und bestimmte Verhaltensweisen des Unterbewusstseins appellieren. So kann man den Umsatz steigern.
Marke im Gehirn verankert
Welche Marken Emotionen auslösen und damit erfolgreich sind, lässt sich im Computertomografen nachvollziehen. Erkennt ein Proband eine Marke, wird das Belohnungsareal im Gehirn aktiv. Unbekannte Marken hingegen lösen negative Gefühle aus, weil sie nicht erkannt werden. Denn unser Gehirn will vor allem eines: Energie sparen. Je weniger Energie aufgewendet werden muss, um ein Produkt zu evaluieren, desto eher wird dieses unsere Aufmerksamkeit wecken. Bereits bekannte Marken hinterlassen damit immer tiefere Spuren im Gehirn. Wir blenden Konkurrenzprodukte zunehmend aus und greifen nach dem vertrauten Gefühl. Bekannt wird bekannter, Unbekannt zunehmend lästig.
Zuverlässigkeit und Vertrauen
Mit dem Aufkommen des E-Commerce musste dieses Wissen an die neuen Kaufgewohnheiten und die in dieser neuen Umgebung vorherrschende Beziehung zwischen Verkäufer und Käufer angepasst werden: das Image einer Marke im Web aufwerten, in sozialen Netzwerken effektiv werben und die Kunden mit der Verpackung und dem unkomplizierten Versand des Produkts begeistern.
Der häufigste Grund für den Kaufabbruch in Onlineshops ist das mangelnde Vertrauen, das bestimmte Webdesigns den Internetnutzern vermitteln, insbesondere denen, die zum ersten Mal im Internet einkaufen.
Welcher Faktor aber hat den grössten Einfluss? Interessanterweise obsiegt das Farbschema: Je heller, desto besser. Weiss ist ein Synonym für Zuverlässigkeit. Klare und einfache Designs vermitteln ein Gefühl von Sicherheit.
Aber auch der Versand ist entscheidend. Das Einkaufen im Internet hat neue Gewohnheiten und Ansprüche bei den Verbrauchern geschaffen. Erzeugten vor zwei Jahren die Zahlungsmodalitäten im E-Commerce das meiste Misstrauen, so liegt die Zuverlässigkeit des Versands (Zeit, Verpackung und Zustand des Pakets beim Empfang) heute an erster Stelle der Bedenken von Internetnutzern. Neunzig Prozent der Abbrüche heutiger Einkaufsprozesse hängen damit zusammen. Die Käufer wollen die Garantie haben, dass die Ware ankommt. Vor allem wollen sie Gewissheit darüber, wann und wie sie ankommt. Den Empfang der Ware schätzen sie als Teil des Einkaufserlebnisses.
Mit Emotionen werben
Heute ist Einkaufen eine verbreitete Freizeitbeschäftigung. Beim Stöbern in einem Onlineshop kann das Design Gefühle von Sicherheit, Nähe und sogar Abenteuer erzeugen. Aber Kunden dazu zu bringen, eine Marke mit diesen Gefühlen zu assoziieren, geht über die Veränderung dieser Parameter hinaus.
Die Art und Weise, wie ein Unternehmen wirbt, beeinflusst auch das Unterbewusstsein potenzieller Kunden. Es ist wichtig, geeignete Formulierungen zu verwenden, um die Aufmerksamkeit einer bestimmten Zielgruppe auf ein Produkt oder eine Dienstleistung zu lenken. Ein weiterer Schlüssel ist es, Inhalte zu generieren, die von der Identität des Unternehmens und den Gefühlen sprechen, die Kunden mit diesem Unternehmen in Verbindung bringen. Das heisst konkret: Mit Emotionen werben, auch ohne ein Produkt zu nennen.