EINE NACHT ODER EIN TASCHENMESSER

Was sagt die Zahl der Logiernächte pro Nation über den Tourismus in Luzern aus? Und was gerade nicht?

TEXT Bruno Affentranger
Lesezeit 7 Minuten

Sie ist sicherlich der Fetisch der Tourismusindustrie: Die jährliche Auswertung der Anzahl Logiernächte in einem definierten Gebiet. Das Bundesamt für Statistik rechnet genau nach und liefert jeweils bereits im Februar des Folgejahres die offiziellen Resultate. So auch im Fall der Stadt Luzern. 
2018 hat für Luzern einen Rekord ergeben. Exakt 1 399 288 Übernachtungen zählte das Bundesamt, was die Marketingorganisation Luzern Tourismus hernach trocken auswies. Der Rekordwert bedeutet einen Zuwachs von 4,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr. 
Welche Aussage sich aber mit der Zahl der Übernachtungen über das wirtschaftliche Geschehen in der Stadt machen lässt, bleibt für alle Beteiligten und medial Konsumierenden im Dunkeln. Man kann es sich nur vorstellen. Und diese Ideen gerinnen schon bald zu «Gewissheiten», auf Basis derer gerne diskutiert wird. 
Dabei wären weitergehende Auswertungen und Aussagen über wirtschaftliche und gesellschaftliche Konsequenzen des Tourismus schon heute möglich. Doch die dazu notwendigen Daten dazu befinden sich mehrheitlich in privaten Händen. Sie sind oft Geschäftsgeheimnis jener, die mit dem Tourismus Geld verdienen, und die mehr als tausend direkt vom Reisegeschäft abhängige Arbeitsplätze bereitstellen. 
Wir haben nachgefragt. Ein Luzerner Unternehmen hatte Gehör für das Vorhaben. Es hat vor allem eines: Daten. 

Die Fragen
Wir haben einige davon auswerten dürfen und versucht, die Bedeutung der Logiernächte zu werten. Dabei haben wir uns auf die Herkunftsländer China, USA und Indien konzentriert.
Frage 1: Gibt es trotz den zahlreichen Tagegästen Parallelen zwischen den Logiernächten und dem Einkaufsverhalten der Touristen am Schwanenplatz und Grendel?
Frage 2: Bedeutet eine Steigerung der Logiernächte auch immer eine Erhöhung der Ausgaben für Einkäufe?
Frage 3: Was kaufen chinesische, US-amerikanische und indische Gäste am liebsten? 

Die Antworten
Die Zahlen auf der Folgeseite sprechen eine deutliche Sprache. Frage 1 lässt sich mit Ja beantworten. Die saisonale Entwicklung der Logiernächte und der Einkäufe je Herkunftsland verhalten sich gleich. Das überrascht und ist vor allem im Fall Indien nicht so klar zu erwarten gewesen. Die Logiernächteentwicklung übers Jahr und das Kaufverhalten korrespondieren fast 1:1. Fazit: Saisonale Schwankungen der Logiernächte (blaue Linien) stimmen mit den Absatzzahlen (goldene Linien) überein. 
Die Logiernachtzahlen nutzen aber wenig, wenn wir Rückschlüsse auf das Einkaufsvolumen machen wollen. Vergleichen wir zum Beispiel die Anteile an verkauften Taschenmessern, die bei Gästen aus der ganzen Welt beliebt sind, zeigt sich beim besagten Unternehmen, dass das Einkaufsvolumen je nach Herkunft stark variiert, obwohl die Anzahl der Logiernächte in der Tourismusregion Luzern/Vierwaldstättersee ähnlich hoch sind. Die Frage 2 können wir also mit Nein beantworten.
Chinesen zum Beispiel hatten im Jahr 2018 einen Übernachtungsanteil von 9,8 Prozent in der Region Luzern/Vierwaldstättersee. Ihr Anteil an den verkauften Taschenmessern in diesem Unternehmen jedoch ist mehr als fünfmal so hoch: rund 55 Prozent. Auch US-Amerikaner kaufen mehr Schweizer Taschenmesser, als sie Übernachtungen verzeichnen. Bei den Indern stimmen die Relationen, hingegen wird die Diskrepanz bei den Deutschen enorm. Würde man diesen Vergleich mit Uhren oder dem Umsatz der am Schwanenplatz ansässigen Geschäfte als Ganzes machen, wären die Unterschiede noch viel grösser.

Daraus lässt sich verschiedenes schlussfolgern:

  • 
dass nicht nur Logiernächte etwas über Touristen aussagen.
  • dass das Verhältnis zwischen Wertschöpfung und Logiernächten alleine je Herkunftsland dann extrem variiert, wenn man das Einkaufsvolumen ebenfalls genauer betrachtet.
  • dass es für die Auseinandersetzung mit der Frage «Welchen Tourismus möchten wir?» wichtig ist, die Wertschöpfung nicht nur aufgrund der Logiernächte zu analysieren.
  • dass hier Daten schlummern, die der Wissenschaft und letztlich allen, die (politische) Beschlüsse treffen müssen, für richtiges Entscheiden dienen würden. Wer mehr über Kunden weiss, kann besser planen (Infrastruktur, Personal, Sicherheit, Mobilität usw.). 

Frage 3 übrigens hatten wir nur so zum Spass gestellt. Einfach, um zu sehen, ob nationale Unterschiede im Kaufverhalten existieren. Tun sie. Die Warenkörbe sind faszinierend verschieden. Und Kuckucksuhren werden tatsächlich gekauft. Von US-Amerikanern. Wir hatten das immer bezweifelt.