Film ab in Luzern – endlich

Luzern ist beautiful. Schönheit allein macht aber noch keine begehrte Filmkulisse aus. Niklaus Zeier und Lili Kaelin wollen die Zentralschweiz ins Scheinwerferlicht bringen und zu mehr als nur einer «Film Location» machen. Entsprechende Drehbücher sind in Arbeit.

TEXT Angel Gonzalo
Lesezeit 10 Minuten
«Wir haben mit der Filmabteilung der Hochschule Luzern, die weltweit mit Animations- und Kurzfilmen brilliert, eine herausragende Ausbildungsstätte und zudem eine engagierte Filmindustrie – dazu sollten wir Sorge tragen.»

Der einzige gebürtige Schweizer Literaturnobelpreisträger und Wahlluzerner Carl Spitteler lebte zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Luzern und genoss die Aussicht auf Stadt, See und Berge. Ob er diesen Ausblick als filmwürdig betrachtete, ist nicht überliefert. Sicher ist: An der Gesegnetmattstrasse in Luzern, wo Spitteler gelebt hat, ist heute nicht nur der Förderverein Film Zentralschweiz (Verein für professionelle Filmschaffende in der Zentralschweiz) zu Hause. Dort wirkt auch der im Jahr 2016 gegründete Verein Film und Fernsehen Luzern und Zentralschweiz (FFLZ).

Letzterer ist die Trägerschaft der Film Commission Lucerne & Central Switzerland, die früher Filmlocation Lucerne hiess, und die ein gemeinsames Ansinnen von touristischen und Stadtmarketing-Kreisen zur Förderung der Region Luzern-Zentralschweiz als Drehort und Filmkulisse hat. Die Film Commission als «One-Stop-Shop» will Fernseh- und Filmproduktionen ideale Bedingungen für Dreharbeiten ermöglichen. Sie fördert zudem die Zusammenarbeit mit Ausbildungsinstituten im Filmbereich sowie mit der regionalen Film- und Event-Industrie.

Ist es Marketing, ist es Kultur?
Niklaus Zeier präsidiert seit diesem Sommer den Trägerverein der Film Commission. Er ist auf Alt-Stadträtin Ursula Stämmer-Horst nachgefolgt. Vorher wirkte er lange Jahre als Kommunikationschef in der Stadt Luzern und war auch zuständig für Projekte des Stadtmarketings. Der Aufbau Luzerns als Drehplatz für Filme und Fernsehproduktionen gehörte dazu. Niklaus Zeier, der erfahrene Netzwerker, und Lili Kaelin, die erfolgreiche Aufnahmeleiterin und Redaktorin – unter anderem für SRF und ORF – sowie Stagemanagerin für Grossevents, prägen die Arbeit der Film Commission und wollen Luzern und die Zentralschweiz als Filmdrehort promoten. Er als Präsident, sie als Geschäftsführerin und beide im Mandat für verschiedene Anspruchsgruppen. Dabei geht es um die touristische Entwicklung der Region, also auch um Standortmarketing für Luzern und die Region Zentralschweiz.

Mit Film und Fernsehen Aufmerksamkeit für eine Stadt oder eine Region zu schaffen ist eine weltweit bewährte Methode. So ist Film Commission überall in Aktion. «Filme fördern auch die wichtige Identifikation der Bewohnerinnen und Bewohner mit ihrer Region», betont Niklaus Zeier.

Lili Kaelin und Niklaus Zeier wollen mit ihrem Engagement auch die Kreativwirtschaft, im Besonderen die hiesige Filmindustrie, supporten. Sie vermitteln Aufträge an einheimische Filmschaffende oder unterstützen diese bei Filmprojekten. «Filmproduktionen sind Teil der Kreativwirtschaft, die gut in unsere Region passt, und sie schaffen Arbeitsplätze und Wertschöpfung», streicht Zeier hervor.

Doch die Hauptaufgabe der Film Commission ist eine andere: «Ideale Rahmenbedingungen für Fernseh- und Filmproduktionen anbieten, und zwar mit einer einzigen Anlaufstelle, die alle Anliegen von Produzenten und Regisseuren aufnimmt und koordiniert – das ist im Kern unsere Arbeit», sagt Lili Kaelin.

Täglich würden Anfragen die «Film Commission» erreichen. Wie kommen wir zu einer Drehbewilligung? Wo finden wir eine Villa am See für unseren Film? Wie finden wir preiswerte Hotelzimmer? Diese Arbeit schafft die Voraussetzungen, damit Luzern und die gesamte Zentralschweiz auch weiterhin Akzente in der nationalen und internationalen Film- und Fernsehbranche setzen können. Dazu lohnt sich ein Blick in die Vergangenheit.

Goldene Luzerner «Filmjahre»
Niklaus Zeier war bereits vor seinem Engagement als Stadtkommunikator «Wärchhof»- und «Boa»-Präsident und später Mitbegründer und langjähriger Präsident des Comic-Festivals Fumetto. Er präsidiert die SRG Zentralschweiz und gilt als Hansdampf in kulturellen, medialen wie politischen Gassen. Er war auch dabei, als 2004 die «Rose d’Or» von Montreux nach Luzern wechselte. Das weltweit bedeutendste Festival der Fernsehunterhaltung war bis 2011 zu Gast im KKL Luzern. 2012 übernahm die European Broadcasting Union (EBU), mit 75 Ländern der grösste Zusammenschluss öffentlich-rechtlicher TV- und Radio-Unternehmen, das Festival. Seither findet es jedes Jahr in einer anderen Stadt statt. Die EBU führte zudem in der gleichen Zeitperiode ihren jährlichen TV-Kongress im KKL Luzern durch. Die EBU, unter anderem Veranstalterin des jährlichen Eurovision Song Contests, bescherte Niklaus Zeier wichtige Kontakte in der Film- und TV-Branche. 

Unvergessen bleibt auch der 22. März 2003, als mit «Wetten, dass …?» zum ersten und letzten Mal die grösste Unterhaltungsshow im deutschsprachigen Fernsehen in Luzern gastierte. Showmaster Thomas Gottschalk begrüsste in der damaligen Swisslife-Arena Gäste wie Rowan Atkison (besser bekannt als «Mr. Bean»), Sänger Udo Jürgens, die Schauspielerin Geraldine Chaplin und den deutschen Fussball-Natio-naltrainer Rudi Völler. In Erinnerung bleibt auch die finale Auslosung zur Fussball-Euro-pameisterschaft 2008, die am 1. und 2. Dezember 2007 in Luzern stattfand und via TV weltweite Aufmerksamkeit fand. Ein weiterer wichtiger Bezugspunkt zur Filmwelt war der Schweizer Filmpreis Quartz, der «Schweizer Oscar», der zwischen 2009 und 2012 viermal in Luzern vergeben wurde, ehe sich das Bundesamt für Kultur zusammen mit der SRG ab 2013 dafür entschied, den Filmpreis-Event abwechslungsweise in Zürich und Genf auszutragen.

In der Tat, es lief viel in Luzern in den ersten zwei Dekaden des zweiten Millenniums. Und diese Taten hatten Folgen, vorab an einem Ort: Luzern wurde 2009 zum Tatort für die legendäre Krimiserie aus Deutschland. Der Schweizer «Tatort» spielte 17 Mal in der Zentralschweizer Metropole und deren Umgebung. Leicht ironisch schrieb die «NZZ» am 31.12.2018: «Der Schweizer ‹Tatort› aus Luzern könnte ein Juwel sein. See und Berge sind filmreif; das Bürgerpersonal ist laientheatererfahren; und dank dem niedrigen Steuerfuss siedelt an den Sonnenhängen schillerndes Finanzkapital, das Tatmotive anzubieten hätte.» Und fügte weiter spöttisch hinzu, die Schweizer Ausgabe sei behäbig, die Filme legten den Fokus mehr auf die Vierwaldstättersee-Kulisse als auf die Kriminalgeschichte. 

«So what!», schiesst es aus Niklaus Zeier, wenn er darüber nachdenkt: «Über Geschmack lässt sich unendlich streiten, am besten gar nicht. In Luzern wurden bis 2018 insgesamt 17 Folgen gedreht. Einige davon fanden besondere Erwähnung, gewannen Fernseh- und Filmpreise oder zierten die Spitze des ‹Tatort›-Jahresran-kings.» Die Kultserie war richtungsweisend für die strategische Ausrichtung der in dieser Zeit von Urban Frye und Niklaus Zeier ins Leben gerufenen «Filmlocation Lucerne».

In all den Jahren entstanden wertvolle Kontakte zu SRF, zu Filmproduzenten, Regisseurinnen und Regisseuren wie auch zu vielen Mitwirkenden vor und hinter der Kamera. Sie halfen mit, den guten Ruf der Film Commission in der Schweiz zu verankern. Nun wird ab Herbst 2019 der Schweizer «Tatort» in der Zwinglistadt gedreht – das grosszügige, barocke Luzern hat als Krimi-Schauplatz ausgedient. Doch Niklaus Zeier schaut nach vorne, ihm schweben verschiedene Projekte vor: ein Filmstudio, ja gar eine veritable Cinecittà.

Industriegelände als Filmstudio
Die Pläne sind weit gediehen. Die Idee entstand bei Dreharbeiten für den «Tatort», angeregt von Filmproduzenten. Seit Ende 2018 liegt ein Projektbeschrieb mit Bau-, Betriebs- und Finanzierungsplänen vor. Die Rede ist von der «Viscosi Film Stadt» – ein Produktions- und Eventcenter mitten im Industriegebiet der ehemaligen «Viscosi». Das Gesamtbudget des Projekts liegt bei rund zwölf Millionen Franken, wovon etwa die Hälfte von der Eigentümerschaft, der Viscosistadt AG, getragen werden soll. Für den Rest wie auch für den Betrieb werden Sponsoren und Investoren gesucht. Gelingt die Finanzierung, startet der Betrieb gegen Ende 2022. 

Das privat vorangetriebene Projekt in Emmen soll eine längst fällige Lücke in der Schweizer Filmbranche füllen. Letzterer fehlt nämlich ein Studio in der Schweiz, das diesen Namen auch wirklich verdient. Im grosszügigen Emmer Areal wurde bereits für den Schweizer «Tatort» gedreht. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse sind positiv. Niklaus Zeier sieht darin ein Modell mit Vorbildcharakter und wider das Offshoring hiesiger Filmproduktionen: «Wir haben mit der Filmabteilung der Hochschule Luzern, die weltweit mit Animations- und Kurzfilmen brilliert, eine herausragende Ausbildungsstätte und zudem eine engagierte Filmindustrie und viel Know-how – dazu sollten wir Sorge tragen.»

Es brauche dazu aber auch die von den Filmschaffenden nachdrücklich geforderte Förderstiftung für den Film und die Anerkennung der Filmbranche als Wirtschaftsfaktor durch die Zentralschweizer Politik. 

Die Konkurrenz schläft nicht. Alle anderen Regionen der Schweiz haben ausgewiesene Filmförderstrukturen. Zudem locken unzählige Länder, Regionen und Städte weltweit mit teils grosszügigen Konditionen internationale Filmproduktionen an. Anzeigen in internationalen Fachmagazinen treten mit fast schon unverschämt attraktiven Angeboten an Filmproduzenten heran. 

So weit möchte Niklaus Zeier nicht gehen: «Solche Angebote können wir nicht machen. Wir wollen mit Service und hervorragenden Bedingungen, mit Locations und bestehenden Infrastrukturen überzeugen.» Trotzdem ist die Film Commis-sion Lucerne & Central Switzerland Teil eines- sich formierenden Netzwerks Film Commission Switzerland. Dieses will private und öffentliche Mittel finden, um internationale Filmproduktionen in die Schweiz zu holen oder Koproduktionen mit internationalen und Schweizer Filmproduzenten in unserem Land zu ermöglichen. 

Eigene Geschichten bringen
Attraktive Exposés für filmreife Themen zu erarbeiten – auch das gehört zur Förderung einer Region als Filmkulisse. «Wir versuchen, Produzenten mit guten Geschichten in die Zentralschweiz zu locken, mit Geschichten, die hier gedreht werden müssen. Es gibt genug gute Plots in der Zentralschweiz», weiss Niklaus Zeier. Etwa die Geschichte der Obwaldner Hotelpioniere Bucher und Durrer. Oder wie der letzte Kaiser von Österreich-Ungarn, Karl I. von Habsburg-Lothringen, aus seinem Exil im damaligen Schlosshotel Herthenstein eine Machtübernahme in Ungarn anstrebte und dazu mit einem Wasserflugzeug vom Vierwaldstättersee nach Ungarn flog. Hotels sind oft voller Geschichten über berühmte Persönlichkeiten, die damals wie heute die Zentralschweiz besuchten. Sie können auch Kulisse einer TV-Serie sein, die der Film Commission nach Gesprächen mit Produzenten vorschwebt. 

Mit einer besonders brisanten Geschichte aus der jüngeren Luzerner Vergangenheit kam neulich eine deutsche Produzentin auf Lili Kaelin und Niklaus Zeier zu. Eine Geschichte aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs, in der Luzern eine zentrale Rolle spielt. Von hier aus agierte unter dem Decknamen «Lucy» Rudolf Rössler als Spion gegen Nazi-Deutschland und versorgte über sein internationales Netzwerk die Alliierten mit Informationen aus dem Oberkommando der Wehrmacht in Berlin. Mehr wollen die beiden noch nicht verraten. «Zuerst muss es der Produktionsgesellschaft gelingen, genügend Geld in Deutschland zusammenzutragen und erst dann kann mehr über den Dreh in Luzern berichtet werden», gibt Lili Kaelin zu bedenken.

Das liebe Geld
Geld ist bei der Arbeit der Film Commission ein stetes Thema. Zeier dazu: «Im Moment unterstützen uns die Stadt Luzern, die im Zentrum unserer Arbeit steht, die Luzern Tourismus AG sowie weitere touristische Kreise. Für 2019 verfügen wir über ein Budget von 165 000 Schweizer Franken.» Damit deckt die Film Commission ihre Basisarbeit, unterstützt Dreharbeiten und organisiert Vorpremieren und Netzwerkanlässe ebenso wie die Entwicklung ihrer Arbeit in der Region und den Aufbau einer Themensammlung für mögliche Film- und Fernsehproduktionen. 

Im Vergleich zu anderen Regionen ist dieses Budget bescheiden. Die Film Commission Ticino etwa verfügt über ein Jahresbudget von 500 000 Franken und arbeitet mit drei angestellten Personen. «Dank viel Engagement und unserem Netzwerk konnten wir auch mit weniger Geld via Film und TV viel Aufmerksamkeit für Luzern und die Region Zentralschweiz schaffen», sagt Lili Kaelin und betont, dass die sehr gute Zusammenarbeit mit der öffentlichen Verwaltung wie auch mit Tourismuskreisen und Hotellerie vieles möglich mache. Und trotzdem: Soll die Film Commission ihre Arbeit erfolgreich fortsetzen, brauche es mehr Unterstützung.

Voraussetzungen schaffen, damit Luzern und die Zentralschweiz weiterhin Akzente in der nationalen und internationalen Film- und Fernsehbranche setzen können.

Europäischer Filmpreis 2022 in Luzern?

Die 32. Verleihung des Europäischen Filmpreises findet am 7. Dezember 2019 in Berlin im Haus der Berliner Festspiele statt. Der Preis wird von der Europäischen Filmakademie (EFA) vergeben. Nachdem im Vorjahr die Gala in Sevilla stattgefunden hatte, geht sie zum 15. Mal in der deutschen Hauptstadt über die Bühne, am Sitz der EFA. 2020 folgt Reykjavík. 2022 ist möglicherweise Luzern an der Reihe. Wenn alles gut geht. Das Bundesamt für Kultur (BAK) wird sich mit der SRG SSR und der Stadt Luzern für die Durchführung der Verleihung des Europäischen Filmpreises 2022 bewerben. Der Schweizer Entscheid für die Stadt Luzern wurde in enger Zusammenarbeit mit der Medienpartnerin SRG getroffen. Das BAK hatte im vergangenen Jahr sieben Schweizer Städte zur Eingabe eines Dossiers eingeladen und vier Bewerbungen erhalten. Luzern überzeugte mit einem stringenten Konzept und bekam den Zuschlag. Federführend bei der Bewerbung und der aktuellen Planung des Events ist das Büro der Film Commis­sion Lucerne & Central Switzerland.