«Ich wünsche mir wieder einen direkten Schnellzug an den Flughafen.»
Der Flughafen Zürich ist gebaut für das Jetzt und geplant für eine ferne Zukunft. Sein CEO muss wissen, was auf uns zukommen wird – er kennt die künftigen Touristenzahlen. Wer, wenn nicht er, kann also besser Auskunft geben, was Luzern erwartet?

STADTSICHT: Stephan Widrig, wie viele Jahre oder Jahrzehnte im Voraus muss man einen Flughafen planen, damit man à jour bleibt?
Stephan Widrig: Lange, oft Jahrzehnte. Flughafenplattformen sind grosse Infrastrukturen mit entsprechend umfangreichen Planungsprozessen und langwierigen Rechtsverfahren. Steht das Gebäude dann, sollte es für die nächsten dreissig bis vierzig Jahre den Bedarf abdecken können. Derzeit im Bau ist bei uns beispielsweise eine neue Gepäcksortieranlage für rund 500 Millionen Franken – nach zehn Jahren Planung und Bau sollte die Anlage dann auch den Bedarf der nächsten Jahrzehnte abdecken.
Einer Ihrer Vorgänger hat einmal sinngemäss gesagt: Der Flughafen hat in 25 Jahren nur einen Moment lang die richtige Grösse. Vorher ist er zu gross, danach gleich zu klein. Stimmt das für Sie?
Das liegt daran, dass die Nachfrage schrittweise steigt – manchmal auch durch Weltwirtschaftskrisen unterbrochen –, grosse Anlagen oder Gebäude aber zu einem bestimmten Zeitpunkt in Betrieb gehen und dann auch nicht einfach verkleinert oder vergrössert werden können.
Auf welche Daten stützen Sie sich bei der Weiterplanung des Flughafens und seines Angebots? Woher stammen sie?
Luftfahrt ist kein Selbstzweck, sondern die Verkehrsader des internationalen Austausches. Wachsen die Bevölkerung und die Volkswirtschaft und wird die Welt internationaler, so wird auch der Luftverkehr zunehmen. Nicht nur die Wirtschaft oder der Tourismus werden internationaler, sondern beispielsweise auch die Forschung, NGOs oder unsere Verwandschaftsbeziehungen. Wir gehen in Zürich im langfristigen Durchschnitt von einem Verkehrswachstum von zwei bis drei Prozent pro Jahr aus, was lediglich das prognostizierte Bevölkerungs- und Volkswirtschaftswachstum abbildet.
Der Tourismus soll gemäss Studien derzeit weltweit um rund vier Prozent pro Jahr wachsen. Ist das eine Phase des überdurchschnittlichen Wachstums und einfach eine ausserordentliche Phase oder geht es tatsächlich so weiter?
Wenn ich höre, wie viele chinesische Pässe heute ausgestellt sind und wie viele in den nächsten Jahren neu ausgestellt werden sollen, glaube ich nicht, dass die Zahl der reisewilligen Asiaten abnehmen wird. Wie wir darauf eine nachhaltige Wertschöpfung für unser Land aufbauen, ist eine Herausforderung, soll jedoch primär auch als Chance gesehen werden. Ebenso klar ist aber, dass wir dies aktiv steuern und dabei auch stärker priorisieren müssen, welche Form von Tourismus wir anstreben.
Wo liegt die Grenze der möglichen Kapazitäten für den Hub Zürich und was heisst das in Besucherzahlen?
Wenn wir mit zwei bis drei Prozent pro Jahr wachsen, werden wir in rund zwanzig Jahren von heute dreissig Millionen Passagieren auf rund fünfzig Millionen Passagiere pro Jahr wachsen. Darauf basiert die heutige Raumplanung wie auch unsere Flughafenplanung. Für die Zeit danach fehlt der Schweiz ein luftfahrtpolitisches Konzept.
Wie viel Kapazität ist derzeit ausgelastet?
Zu unterscheiden ist die Spitzenkapazität des Pistensystems von der Aufnahmekapazität der Terminalinfrastrukturen. Letztere entwickeln wir stetig weiter, sodass wir auch bei den aktuellen Rekordzahlen eine gute Qualität sicherstellen können. Beim Pistensystem sind wir in den Spitzenstunden seit zehn Jahren am Limit angelangt. Mit einer besseren Entflechtung von Starts und Landungen am Boden und in der Luft versuchen wir, auf dem bestehenden Pistensystem leichte Optimierungen zu machen, dass wir wenigstens bei allen Wetterlagen die gleiche Kapazität sicherstellen können – eine Hauptursache der Verspätungen.
Wie viele der Personen, die derzeit den Flughafen frequentieren, sind Touristen?
Stark vereinfacht kann man sagen, dass etwa die Hälfte den Flughafen für private Reisen benützt.
Was muss ein Flughafen von morgen können?
Wir arbeiten daran, dass die Prozesse am Flughafen noch stärker digital stattfinden, sodass mehr Zeit und Genuss für einen angenehmen Aufenthalt entsteht. In diesem Sinne entwickeln wir auch den Flughafen als spannendes Zentrum mit einer hohen Aufenthaltsqualität stetig weiter.
Kann Ihr Flughafen das alles heute schon?
We try harder. Stillstand ist Rückschritt. Eine grosse Herausforderung der Zukunft ist es zudem, dass die Luftfahrt ohne fossile Energieträger auskommt. Auch daran arbeiten wir.
Wie wichtig ist das Projekt THE CIRCLE, und warum?
Es stärkt den Flughafen als urbanes Zentrum und vereint Dienstleistungen, die an einem Flughafen in Fussdistanz wie auch an einer Pendlerdrehscheibe Sinn machen: Hotels, ein Kongresszentrum, Brand Houses und Büros, ein ambulantes Gesundheitszentrum und vieles mehr. Ergänzt wird der Circle mit einem grossen Park als Natur- und Erholungsraum, der allen Flughafennutzern zur Verfügung steht.
Ist es bereits ausgemietet?
Zwei Drittel sind ein Jahr vor Eröffnung bereits fest vermietet – und bis zur Eröffnung sicher noch einiges mehr. Für ein Projekt dieser Grösse sind wir sehr zufrieden damit.
Der Flughafen ist der Hub und damit das Einfalls- und Ausgangstor zur und aus der Schweiz. Lässt sich das quantitativ untermauern?
Am Flughafen Zürich werden rund 55 Prozent des Schweizer Luftverkehrs abgewickelt, bei den Langstrecken sind es etwa drei Viertel und bei der Fracht rund 80 Prozent. Ein Drittel aller Übernachtungsgäste in der Schweiz kommen mit dem Flugzeug an, Tendenz steigend, und rund 40 Prozent des Wertes aller exportierten Güter verlassen die Schweiz mit dem Flugzeug.
Ein Hub wird wörtlich als (Rad-)Nabe verstanden. Im übertragenen Sinn meint man damit ein Drehkreuz und im Falle Zürichs einen Umsteigeflughafen. In welcher Beziehung zum Flughafen stehen Luzern und die Zentralschweiz heute?
Dank der Nabe sind direkte Langstreckenverbindungen in andere Kontinente aus der Schweiz erst möglich. Zürich ist das einzige Langstreckendrehkreuz der Schweiz und unterscheidet sich in diesem Sinn ganz wesentlich von Genf oder Basel. Für andere Kontinente sind wir die einzige Anbindung von Luzern an die Welt, für alle anderen Flüge hoffentlich der Lieblingsflughafen der Luzerner.
Was muss oder darf Luzern für die Zukunft erwarten – in Sachen Touristen?
Es ist gut, dass die Schweiz begehrt ist als Tourismusland. Wir müssen aber sicherstellen, dass ein Grossteil des künftigen Wachstums bei Individualreisen von Personen mit einer gewissen Kaufkraft stattfindet. Das setzt auch Investitionen unsererseits in ein gutes Produkt und in sogenanntes Seamless Travel voraus. Stellen wir hier die richtigen Weichen, ist dies eine grosse Chance für einen nachhaltigen Wirtschaftszweig in tendenziell eher strukturschwachen Regionen der Schweiz. Davon profitieren auch wieder Zentren wie Zürich oder Luzern.
Sie haben einen Wunsch offen: Was wünschen Sie sich von Luzern?
Wieder einen direkten Schnellzug an den Flughafen.
Wird die Speisung des Sub-Hubs, des Basislagers Luzern für die Zentralschweiz, auch in Zukunft über den Hub Zürich stattfinden oder ist die eingangs erwähnte prognostizierte Masse nicht mehr alleine auf diese Art zu bewältigen?
Ich kann mir keine andere Alternative vorstellen, bis es uns gelingt, ohne Piste vertikal zu starten. Das sind aber derzeit reine Science-Fiction-Szenarien.
Sehen Sie beim Flughafen eine Mitverantwortung für die künftige Dosierung der Besucher in den Regionen der Schweiz?
Ich bin ein liberaler Mensch. Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Regulierung sinnvoll ist, die darüber entscheidet, welche Passagiere bei uns landen dürfen und welche nicht.
Wer muss alles mitspielen, damit die oben erwähnten Touristen weiterhin richtig und effizient gelenkt werden können?
Das System Schweiz – dazu gehören sicher die Regionen, Verkehrsträger wie die SBB oder der Flughafen und die Hotellerie und Gastronomie. Und wir müssen bessere Strukturen schaffen, welche einen Teil der Kaufkraft der Touristen abschöpfen für langfristige Investitionen in eine hochwertige Infrastruktur – beispielsweise der Unterhalt der Bergbahnen, nachhaltige und hochwertige Hotelkapazitäten im mittleren Preissegment oder Technologien für Seamless Travel.
