Let the SUNSHINE IN
Sie sitzen im «Energiehaus Luzern» im Ortsteil Littau. Und sie stehen an der Spitze der Solarstromgewinnung in der Schweiz. Zu Besuch bei der Pionierin BE Netz AG. Der Versuch, Sonnenlicht in das komplexe Ganze des Schweizer Solarstrommarktes zu bringen.
So etwas wie die Sonnenwende hat sich vor nicht einmal zweieinhalb Jahren in der Schweiz ereignet – nicht im astronomischen, sondern vielmehr im energiepolitischen Sinn. Im Mai 2017 sprach sich das Schweizer Volk für die Energiestrategie 2050 und damit für den schrittweisen Atomausstieg aus. Spätestens seit der Nuklearkatastrophe von Fukushima vor acht Jahren sind erneuerbare Energien mehr als nur politisch korrekte Alternativen zu fossilen und atomaren geworden. Die Marschroute ist gelegt, auch auf kantonaler und kommunaler Ebene: Der Kanton Luzern verfolgt das langfristige Ziel einer 2000-Watt-Gesellschaft und der Ein-Tonnen-CO2-Gesellschaft – so steht es im neuen Luzerner Energiegesetz. Ähnliche Absichtserklärungen und Strategiepapiere gibt es ebenso in der Stadt Luzern, deren Stimmbevölkerung sich im November 2011 mit einem Ja-Stimmen-Anteil von 68 Prozent für eine zukunftsweisende Energiepolitik ausgesprochen hat.
Sonnenkraft versus Nuklearpower
Der Luzerner Solarunternehmer Adrian Kottmann (51) ist nicht gegen Atomenergie an sich. Im «Sonnenwende-Jahr» 2017 wies er in einer Podiumsdiskussion darauf hin, dass es wirtschaftlich interessante technische Alternativen gibt, um die Abhängigkeit vom «nicht ganz ungefährlichen» Atomstrom massiv zu reduzieren.
Heute decken die fünf Schweizer Atomkraftwerke knapp 36 Prozent unseres Strombedarfs ab. Die Strommarktaufsicht Elcom warnte kürzlich vor nötig werdenden Importen aus dem Ausland, vorab im Winterhalbjahr, wenn der Strombedarf steigt. Dies ruft Atombefürworter auf den Plan, welche die Nuklearenergie als effiziente und vor allem CO2-neutrale Lösung für die Deckung unseres nationalen Energiebedarfs wieder in die Diskussion bringen wollen.
Zum sicherheitstechnischen Aspekt und zur noch nicht geklärten Lagerung atomarer Abfälle bringt Kottmann aber auch wirtschaftliche Argumente für eine atomfreie Zukunft: «Die Kosten neuer Atomkraftwerke sind in Europa so hoch, dass ein Neubau ökonomisch nicht sinnvoll ist. Das ist in Finanzanalystenkreisen hinlänglich bekannt.» Diese Kostenentwicklung stehe im Gegensatz zu dem, was bei erneuerbaren Energien wie Solar- oder Windkraft derzeit geschehe: Die Kosten dieser Technologien seien bereits sehr stark zurückgegangen und würden künftig weiter fallen. Auch darum sei es sinnvoll, vermehrt in erneuerbare zu investieren.
Das muss er ja behaupten, der erfahrene Solarunternehmer und Verwaltungsratspräsident der BE Netz AG in Luzern-Littau, und setzt noch ein Argument drauf: «Mit einem relativ moderaten linearen Wachstum von einem Prozent wäre die Ablösung alleine mit Solarenergie bis im Jahr 2050 realisierbar. Ich gehe gar davon aus, dass dies in der Schweiz bereits im 2035 möglich sein wird.»
Ein Pionier der ersten Stunde
Adrian Kottmann darf solche Dinge sagen. Er weiss, wovon er spricht. Bereits als Elektriker-Lehrling in den Achtzigerjahren entfaltete er eine Affinität zur Sonnenenergie. Der Schweizer Josef Jenni, einer der erfolgreichsten Solarpioniere Europas und Urgestein der Solartechnik, inspirierte ihn mit dem weltweit ersten Null-Energie-Haus. Das sollte Folgen haben, auch weil in der Schweiz 1991 eine Initiative lanciert wurde, wonach jede Gemeinde über eine Solaranlage verfügen sollte.
Der in Schenkon aufgewachsene Kottmann studierte Elektrotechnik an der HTL in Horw und liess sich von einer Studie der damaligen Elektrowatt zu einer Semesterarbeit verführen. Diese Studie bescheinigte der Stadt Sursee, dass sie über kein einziges geeignetes Gebäude für eine Solaranlage verfüge. In seiner Arbeit an der Hochschule projektierte er 1994 seine erste Fotovoltaikanlage auf dem Dach des Surseer Berufsschulhauses Kotten. Das war für den Surentaler eine Genugtuung, vor allem aber für seine unternehmerische Zukunft wegweisend.
Alles eingesetzt, alles gewagt
In den frühen Neunzigerjahren war die Schweiz weltweit führend auf dem Gebiet der Solartechnik. Es herrschte Aufbruchstimmung, die Subventionsgelder für Fotovoltaikanlagen flossen reichlich. Und Kottmann spürte bereits früh sein Unternehmer-Gen. Bald nach dem Studium gründete der Elektroingenieur die Einzelfirma «kottmann energieprojekte», die später zur BE Netz AG wurde. Der Jungunternehmer bewies 1997 Mut: Er investierte auf eigene Rechnung 220 000 Franken in das wohl erste private «Sonnenkraftwerk» der Schweiz auf dem Dach eines Gewerbegebäudes in Zürich-Oerlikon. Die 16,5 kWp-Solarstromanlage auf 170 Quadratmetern produzierte und lieferte von nun an Solarstrom. Für 1.23 Franken pro Kilowattstunde (kWh). Ein stolzer Preis, der damals stark subventioniert war, um das Umsteigen auf erneuerbare Energien zu fördern.
Sein Treuhänder lief dem damals 29-jährigen Kottmann fast davon, zumal das eingesetzte Kapital praktisch vollständig fremdfinanziert war. Der Mut aber lohnte sich. Das war der Beginn einer erfolgreichen Firmengeschichte mit Prestigeobjekten wie etwa dem St.-Jakob-Park Basel im Jahr 2001, der damals grössten Solaranlage auf einem Stadion, oder dem Stade de Suisse in Bern wie auch der Swissporarena in Luzern. Kürzlich gab die BE Netz AG bekannt, dass sie auf dem Dach des Verteilzentrums von ALDI in Perlen die zweitgrösste Fotovoltaikanlage der Schweiz realisieren werde. Noch in diesem Jahr wird diese Anlage sauberen Strom für über 2000 Haushalte produzieren.
Ein riesiges Potenzial
Doch wie gross ist eigentlich heute das Potenzial für Solarstromanlagen in der Schweiz? Reden wir über eine nette Nische? Keineswegs. Das Produktionspotenzial auf Schweizer Dächern und Fassaden ist sehr hoch. Dieses könnte theoretisch rund die Hälfte des gesamten inländischen Stromverbrauchs abdecken, wird aber kaum genutzt: 2016 waren erst auf fünf Prozent der geeigneten Dach- und Fassadenflächen Fotovoltaikanlagen installiert. Derzeit liegt der Anteil Solarstrom am Schweizer Stromverbrauch lediglich bei knapp vier Prozent.
Noch immer grassiert die Meinung, wir hätten in der Schweiz nicht genügend Sonnenstunden für eine rentable Nutzung der Solarenergie. Tatsache ist aber: Pro Quadratmeter können in der Schweiz jährlich etwa 1100 kWh Sonnenenergie gewonnen werden. Mit dieser durchschnittlichen horizontalen Sonneneinstrahlung hat die Schweiz bessere Bedingungen für die Fotovoltaik als Deutschland.
In den Alpen herrschen in der Schweiz mit bis zu 1600 kWh/m2 sogar «spanische Verhältnisse». Die Alpen garantieren nicht nur hohe Einstrahlungswerte, sondern auch hohe Erträge im Winter: Während Fotovoltaikanlagen im Mittelland im Winter halb so viel Energie wie im Sommer liefern, lässt sich im Alpenraum in der kalten Saison gleichviel Strom wie im Sommer produzieren. Mehr vom begehrten Winterstrom liefern Anlagen in Ost- oder Westausrichtung sowie vertikal installierte Module, zum Beispiel an Fassaden: Vertikal ausgerichtete Fotovoltaikanlagen, gerichtete bifaziale Solarzellen und Solaranlagen an alpinen Standorten liefern vierzig bis fünfzig Prozent ihres Ertrags im Winterhalbjahr. Kottmann: «Wenn es knapp wird auf den Dächern, bespielt man die Fassaden. Vertikale Anlagen gewinnen an Bedeutung.»
Das brachliegende Potenzial ist gewaltig: Auf die gesamte Fläche der Schweiz mit ihren 41 285 Quadratkilometern trifft ungefähr 200 Mal mehr Sonneneinstrahlung als im gesamten Land Energie verbraucht wird.
Strategisch gut positioniert
Die Zeichen stehen gut für die Firma BE Netz AG. Zum einen ist die Technologie ausgereift und vor allem wirtschaftlich interessant, zum anderen sind die politischen Leitplanken in Richtung Solarenergie gesetzt. In den Neunzigerjahren herrschte in der Solarbranche ein ungesundes Wachstum. Der Absturz war absehbar – und kam auch prompt. Das Luzerner Unternehmen hat sich aber immer behauptet und steht nach wie vor auf soliden Beinen. Dieser Erfolg nährte bisweilen Gerüchte um Übernahmen, zumal Solarstrom immer salonfähiger geworden ist. Für Kottmann ist aber klar: «Wir wollen das nicht. Unsere Mitarbeitenden schätzen die Selbstständigkeit des Unternehmens und zudem ist die Hälfte der Belegschaft an der Firma beteiligt.»
Sein CEO Marius Fischer, ebenfalls in der Horwer Ingenieurschule geschmiedet, leitet das Unternehmen seit drei Jahren operativ. Er sieht die BE Netz heute als «Partnerin von Architekten und Moderatorin bei der Planung von Neubauten, wenn es um Energieeffizienz geht». Früher teilten sich zehn Firmen den Solarmarkt, bauten nahezu neunzig Prozent aller Anlagen. Heute agieren in der Schweiz rund hundert Firmen in einem stetig wachsenden Markt.
Weil die Panels heute so günstig sind – die Hälfte aller Solarmodule werden in China produziert –, braucht es weniger Subventionen. Und die sogenannte kostenorientierte Einspeisevergütung (KEV) läuft demnächst aus. Das ist für Fischer kein Problem: «Die Subventionen haben in den letzten Jahren einen Anreiz geschaffen, der sich positiv ausgewirkt hat. Nun sind die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen so gestaltet, dass ein gesundes Wachstum möglich ist.» Strategisch hat sich das Unternehmen ebenfalls gut positioniert. Im Mai 2017 erwarb es die Mehrheitsbeteiligung an der Alsol AG in Frauenfeld. Das Unternehmen in der Ostschweiz gehört auch zu den Pionieren der Solarbranche und hat schon über 600 Anlagen realisiert. Ein Jahr später kam die Beteiligung an der Egon AG. Egon ist ein KMU im Bereich Mess- und Verrechnungsdienstleistungen mit Sitz im Kanton Zürich. Die BE Netz AG ist nicht nur Erbauerin von Solaranlagen. Sie betreibt heute siebzig eigene Anlagen mit einer Gesamtleistung von drei Megawattstunden. Damit versorgt das Unternehmen in Eigenregie 666 Haushalte pro Jahr.
Diesen Sommer ist die BE Netz AG von Ebikon in das «Energiehaus Luzern» in Luzern-Littau umgezogen. Für Adrian Kottmann und Marius Fischer ist das ein logischer Schritt in die Zukunft. Hier soll ein Unternehmensnetzwerk und Kompetenzzentrum für erneuerbare Energien und Energieeffizienz mit nationaler Ausstrahlung entstehen. Sozusagen als eine Brücke zwischen Labor und Werkstatt, ein Hort für pragmatische, materielle Forscher mit den lokalen Energieversorgern CKW und EWL als spannende und willkommene Mitdenkpartner. Das schützenswerte Dienstleistungsgebäude an der Luzernerstrasse in Luzern-Littau, welches in Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege und der Hochschule Luzern für Design und Kunst realisiert wurde, soll zum Vorzeigegebäude werden. Es wird im Endausbau seine Energie selber produzieren. Alles andere würde in dieser Geschichte überraschen.