Kann man schön werden?

Ist Schönheitschirurgie salonfähig? Können Korrekturen am eigenen Leib auch zur Sucht werden? Das sind schwierige Themen – und niemand will darüber sprechen. Wir haben darüber mit dem Luzerner Facharzt für plastische Chirurgie und Klinikbetreiber, Urs Bösch, diskutiert.

TEXT angel GONZALO
Lesezeit 7 Minuten
Oberlidstraffung, Fettabsaugen, Frauen legen sich öfter unter sein Messer: Schönheitschirurg Urs Bösch.

Vor zwanzig Jahren haben ihn die Leute auf der Strasse gemieden oder an Anlässen nicht angesprochen, vermutlich aus einem subjektiv empfundenen Schamgefühl heraus. Heute ist das nicht mehr so. Man ist offener, redet auch öffentlich darüber. Die Rede ist von Urs Bösch, seit 2000 Besitzer und Leiter der Luzerner Schönheitsklinik Meon. Und auch von der plastischen Chirurgie, etwas verharmlosend auch Schönheitschirurgie genannt, obschon es letztlich immer um operative Eingriffe geht.

Eine Operation muss gut überlegt sein. Urs Bösch weiss, wovon er spricht. Der Facharzt für plastische, rekonstruktive und ästhetische Chirurgie war lange Jahre im Inselspital Bern als Spezialist im Einsatz und hat seine Ausbildung in der Schweiz, in Kanada und in den USA gemacht. Seine Haupttätigkeit ist derzeit die ästhetische Chirurgie und die Faltenbehandlung, daneben amtierte er jahrelang als Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Aesthetische Chirurgie.

«Künstler» unter den Chirurgen
Schönheitschirurgen sind so etwas wie die Feinmotoriker unter den Chirurgen, sie gelten in Fachkreisen als «Künstler». Urs Bösch nimmt dies gelassen entgegen. Er ist sich auch bewusst, dass die Welt der Schönheitschirurgie oft nicht den besten Ruf geniesst: «Es gibt auch bei uns schwarze Schafe, oberflächlich auftretende und nur kommerziell getriebene Kliniken.»

Tatsächlich sind Fälle bekannt, wo Busenoperationen in einer Diskothek verlost wurden. Bösch dazu: «Das geht gar nicht. Auch Rabattaktionen wie etwa zwei Operationen für den Preis von einer wurden schon angeboten. Das schadet unserem Ansehen. Es gibt solche Auswüchse, das ist nicht zu leugnen, doch sie bilden zum Glück die Ausnahme.»

Ebenso heikel sei der Medizintourismus, ähnlich wie im Falle von Zahnkorrekturen oder Augenoperationen, die im Ausland verlockend günstig angeboten werden. Er möchte sich zu diesem Thema nicht zu weit vorwagen, aber es sei wichtig, dass man sich gut über die Angebote und deren Qualität informiere. Nicht selten seien danach komplizierte Korrekturen vonnöten. Er warnt dringend davor, plastische Operationen zu bagatellisieren: «In erster Linie ist es nicht Kosmetik. Es handelt sich um einen Eingriff. Chirurgische Eingriffe sind immer mit einem Risiko behaftet.»

Kleines Aperçu: Berlusconis Körperfett

Der ehemalige italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi wurde unlängst im Tessin von einem englischen Chirurgen operiert. Nicht zum ersten Mal. Eine angeblich aus seinem abgesaugten Körperfett hergestellte Seife war 2010 im Migros-Museum in Zürich zu besichti-gen. Die Seife war ein Werk des Schweizer Künstlers Gianni Motti, welches er etwas maliziös «Mani Pulite» (Saubere Hände) taufte. Der narzisstisch veranlagte Alt- Regierungschef liess sich im Jahr 2004 in einer Klinik im Tessin das Fett absaugen. Dort sei der Künstler über einen Angestellten der Einrichtung an das Fett gelangt und habe daraus die Seife hergestellt. Die präzis 82 Millimeter lange, weissliche Seife wurde im Migros-Museum zum ersten Mal ausgestellt, nachdem sie ein privater Kunstliebhaber im Jahr 2005 an der Messe Art Basel gekauft hatte. Die Klinik wies die Behauptungen des Künstlers stets zurück. Das ist eine nette Story, im besten italienischen Sinne «ben trovato, se non è vero», also gut erfunden, wenn schon nicht wahr.

Viel mehr als nur gutes Aussehen
Aber gehen wir doch einmal ins Detail: Lange Zeit war die Brustvergrösserung bei Frauen die beliebteste Schönheitsopera­tion. Mittlerweile sind Oberlidstraffung und Fettabsaugung ebenso gefragt. Bei den Männern ist die Verkleinerung des gewachsenen Brustdrüsengewebes am beliebtesten, gefolgt von der Fettabsaugung. Insgesamt legen sich Frauen deutlich öfter unters Messer als Männer, seit Jahren sei das Verhältnis 80 zu 20, weiss Bösch aus eige­ner Erfahrung. Als sehr klischeehaft erachtet er die oft unter vorgehaltener Hand erwähnten Penisverlängerungen. Bösch staubtrocken dazu: «Penisverlängerungen sind immer mit einer Destabilisierung des männlichen Glieds verbunden. Wir führen diese prinzipiell nicht aus.»

Es kann schnell der Eindruck entstehen, dass die meisten Patienten wegen eines narzisstischen Selbstbildes oder aufgrund psychischer Probleme zum Schönheitschirurgen gehen. Der Zusatz «Schönheit» suggeriert eine Tendenz in diese Richtung. Schönheitsoperationen können auch zur Sucht werden: Nach den Brüsten muss ein Facelifting her, dann die Oberschenkel, die Lippen. Es gibt offensichtlich eine Gruppe von Menschen, die übertrieben auf eine angebliche Perfektion fixiert sind. Social Media wie Instagram, Facebook oder Tinder spielen bestimmt auch eine grosse Rolle.

Entstehen da nicht merkwürdige Bilder von sich selbst? Bösch dazu: «Leider sinkt die Hemmschwelle. Darum sind Gespräche besonders wichtig. Vor allem, wenn es sich um Jugendliche handelt, die einem unnatürlichen oder unrealistischen Schönheitsideal verfallen sind. Hier sind auch die Eltern, Familienangehörige oder Freunde gefragt.» Weiter sind Narzissten oder Menschen mit Borderline-Syndrom eine anspruchsvolle Klientel, die es sorgfältig abzuwägen gilt. Ebenso müssen Menschen, die unter Dysmorphophobie leiden und mit einer Störung der Wahrnehmung des eigenen Leibes konfrontiert sind, behutsam beraten und begleitet werden. Immerhin sind sechs Prozent der Bevölkerung davon betroffen.

Schönheitschirurgen sind in gewisser Weise auch Psychologen. Doch im Grunde ist ein Hauptfeld der plastischen Chirurgie die Wiederherstellung des Aussehens nach Krankheiten, Operationen oder Unfällen.

Die Frage ist immer dieselbe: Wann ist eine Operation angezeigt? Bösch zögert nicht mit der Antwort: «Wenn jemand aufgrund seines Aussehens benachteiligt ist oder nach eigener Aussage darunter leidet. Hier geht es um angeborene Fehler, Missbildungen nach Unfällen, Fehlformen oder Alterserscheinungen.» Bösch ist überzeugt, dass plastische Chirurgie die körperliche und geistige Gesundheit verbessern kann und weit mehr tut, als nur für ein gutes Aussehen zu sorgen. Nach einer Mastektomie beispielsweise ist die Brustrekonstruktion entscheidend für das Wohlbefinden der Patientin, damit sie von der fehlenden Brust nicht mehr an ihre Krankheit erinnert wird.

Auch reine Schönheitsoperationen können das Lebensgefühl verbessern. So erscheinen Menschen mit schlaffen Augenlidern die ganze Zeit müde oder apathisch, auch wenn sie es nicht sind. Das wird im privaten Umfeld oder am Arbeitsplatz wahrgenommen und provoziert vorgefasste Meinungen.

Zurück zur Schönheit – diese liegt bekanntlich im Auge des Betrachters. Oder wie es Sophia Loren einmal so treffend formulierte: «Nicht die Schönheit entscheidet, wen wir lieben, sondern die Liebe entscheidet, wen wir schön finden.» Ben trovato, Sophia.