Wie die Zukunft aussieht
Unsicherheit und Ungewissheit machen Angst. Deshalb ist es höchste Zeit, über die kommenden Jahre nachzudenken. Mit oder ohne Corona.
E
s ist eine seltsame Zeit, in der wir feststecken. Träge fliessen die Tage dahin, die Eventbranche, die Kultur, der Spass an sich haben verordnete Auszeiten. Der Hedonismus von 2019 ist abgewrackt. Wir befinden uns in einem Kreuzzug gegen ein Virus, das der Welt den Atem raubt. Unternehmen haben Mühe, ihre Zukunft zu planen und die Mittel richtig einzusetzen.
Denken in Szenarien würde vor allem über den mentalen Stillstand hinaushelfen und uns eine gedankliche Stütze schenken. Das Zukunftsinstitut in Deutschland um den Gründer Matthias Horx hat das gemacht. Von einer neuen Welt mag das Team um den arriviertesten Zukunftsforscher im deutschsprachigen Raum nicht sprechen. Auch nicht davon, ob wir nun für immer dazu verdammt sind, trotz, mit oder gegen Corona leben zu müssen.
Szenario 1: Die totale Isolation – alle gegen alle
Das am wenigsten verheissungsvolle Zukunftsbild. Hier haben wir uns in unsere Nationen und hinter die Grenzen zurückgezogen und verbarrikadieren uns in unseren amtlichen Sicherheitszonen. Jeder ist sich selbst am nächsten. Gleichzeitig findet eine De-Urbanisierung statt: Urbane Hipster, die Trendsetter von gestern, werden zu Verlierern und Hilfsbezügern in einer prekären Klasse. Die Städte erleben einen Niedergang, und in der Suche nach einer keimfreien Umwelt bleiben Importe und Beziehungen auf der Strecke. Hingegen erlebt die Häuslichkeit ein Comeback. Der Trend zum Rückzug wird staatlich belohnt. Hauslieferungen in jeder Hinsicht werden stärker zulegen.
Szenario 2: Der Systemcrash – permanenter Krisenmodus
Auch nicht schön: Es geht einfach immer weiter wie jetzt. In der Geopolitik kommt es zu Auseinandersetzungen, da sich ein Neo-Nationalismus ausbildet. In der Wirtschaft rücken Fertigung und Produktion ins eigene Land zurück (Nearshoring). Grössere Städte, kulturelle Schmelztiegel, verwandeln sich in ständige Krisengebiete, die es zu meiden gilt. Big Data und künstliche Intelligenz werden noch wichtiger und erfahren einen Schub, damit aber auch Cybercrime und die sogenannten Predictive Analytics, also die datenbasierten Vorausberechnungen menschlichen Verhaltens, die für die Viruseindämmung entscheidend werden. Datenfreiheit und Datenschutz verlieren an Bedeutung.
Szenario 3: Die Neo-Tribes – Rückzug ins Private
Es kann auch anders kommen, eher positiver, was Beziehungen angeht. Staat und Institutionen verlieren weiter an Glaubwürdigkeit, aber wir geben deshalb nicht auf und finden uns in vertrauensvollen «Wir-Konstrukten» wieder. Das sind die neuen Stämme (Neo-Tribes). Eventuell aber sind dies auch die Elemente von neuen Meinungsblasen (Bubble»), die Verständigung zwischen den Gruppen erschweren. Als Reaktion auf das derzeitige Alleinsein könnten neue Formen von Co-Living heranwachsen. Der Rückzug ins Private ist auch hier ein Kernelement. Nur Virtual Reality findet noch ins Haus. Gleichzeitig wächst der Gemeinschaftssinn, nimmt die Nachbarschaftshilfe zu. Die eingeschränkte Mobilität der Risikogruppen wird durch andere freiwillig übernommen. Eine progressive Provinz wächst, Selbstversorgung abseits der Zentren wird hip. Der öffentliche Verkehr hingegen leidet, weil die Mobilen aufs Velo oder E-Bike umsteigen.
Szenario 4: Die Adaption – resiliente Gesellschaft
Das Szenario, das auf selbstheilende Kräfte innerhalb unserer Systeme, Gesellschaften und Wirtschaftsordnung baut. Auf einen Verzicht folgt die Wiederentdeckung heimischer Alternativen. Der stationäre Handel, regionale Produkte und Lieferketten profitieren, lokaler und globaler Handel existieren gleichzeitig. Weil Staaten an Glaubwürdigkeit verloren haben, werden gerade Städte und supranationale Instanzen wichtiger und finden direkt zueinander: Bürgermeisterinnen und Bürgermeister treffen und reden direkt mit Weltorganisationen, unter Ausschluss des Staates. Im Gesundheitswesen setzt sich ein holistisches Verständnis durch, das den Zusammenhang zwischen allem akzeptiert. Predictive Health, wiederum datengestützte Vorhersage, wird salonfähig. Systemrelevante Berufe wie alle, die im auf Reinheit getrimmten Bereich (Pflegepersonal, Reinigungspersonal) tätig sind, rücken in die Nähe von systemrelevanter Bezahlung. Im Baubereich setzen sich Geschwindigkeit (Gesetzes- und Verordnungsanpassungen sowie Verfahrensstraffung) und modulare Massenproduktionen durch.
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