2021 müssen wir auch noch überstehen

Wie schlimm trifft die Krise Luzern? Und wie findet die Wirtschaft wieder heraus? Vor allem: wann? Das Gespräch.

TEXT Bruno Affentranger
Lesezeit 10 Minuten
Josef Williner
Josef Williner ist der Präsident der City-Vereinigung. Sie fördert die Attraktivität von Luzern als Einkaufsstadt sowie als Handels-, Wirtschafts-, Tourismus- und Begegnungszentrum der Zentralschweiz. Zuletzt hat die City-Vereinigung mit ihrer Aktion #solidaritätcityluzern und ihrer City-Card (einer Geschenkkarte) viel für die Geschäfte in der Innenstadt tun können.

Marcel Perren
Marcel Perren ist Direktor der Luzern Tourismus AG und damit der Tourismusdirektor Luzerns. Die LTAG ist das touristische Kompetenzzentrum von Stadt und Kanton Luzern sowie der Region Vierwaldstättersee.

Als Präsident der City Vereinigung haben Sie eine historische Situation erlebt: Geschäftslokale blieben im Lockdown geschlossen, das wirtschaftliche Leben stand still. War es so schlimm, wie es klingt?
Josef Williner: Ich fokussiere im Nachhinein auf anderes: Die Unterstützung und Solidarität seitens der Kundinnen und Kunden der City Luzern waren während des Lockdowns grossartig. Sie haben den Geschäften finanziell, aber vor allem auch persönlich geholfen. Immer wieder hörten wir, wie dankbar die Geschäftsinhaberinnen und -inhaber für die Solidarität waren.

An was lesen Sie diese Solidarität ab?
Williner: In kurzer Zeit sind viele Hilfsprojekte entstanden. Unsere City Vereinigung hat sehr schnell eine Online-Plattform #solidaritätcityluzern lanciert und eine spezielle Solidaritäts-CityCard herausgegeben. Diese hat erheblichen Umsatz in dieser Zeit erzielt und ist von vielen Firmen gekauft und als Geschenk an die Mitarbeitenden verwendet worden.

Wie ist der Zustand des wirtschaftlichen Luzerns heute aus Ihrer Sicht?
Williner: Die Situation im Detailhandel ist komplex. Gewisse Branchen sind wieder auf dem Vorjahresniveau, andere Branchen jedoch weit davon entfernt. Der Tourismus, die Gastrobranche und Hotellerie sind von der Krise sicher am stärksten betroffen. Jetzt sieht man, was es heisst, wenn man gar keine Touristen aus dem Ausland mehr in Luzern hat.

Was sieht man?
Williner: Fehlen die Touristen, dann leiden die Gastrobetriebe, die Detailhändler, alle zusammen.

Marcel Perren: Der Tourismus ist eine Netzwerkbranche. Viele profitieren direkt und indirekt. Die Relevanz des Tourismus direkt ist überschaubar, aber indirekt ist sie immens. Deshalb ist die Situation besonders schlimm. Wir sind enorm heruntergefahren. Die Wirtschaft, die auf internationale Kundschaft angewiesen ist, leidet brutal. Die Stadt ist sehr stark getroffen. Die Schifffahrtsgesellschaft Vierwaldstättersee SGV streicht in ihrem dichten Fahrplan im Herbst dreissig Prozent der Kurse. Das ist ein klares Signal – und es zeigt, wie ernst die Lage ist. Darunter werden auch die Einheimischen leiden. Wir merken, dass der hohe hiesige Lebensstandard zu einem grossen Teil mit dem florierenden Tourismus zusammenhängt.

Williner: Für mich ist die wichtigste Erkenntnis, dass der Marktplatz nur gemeinsam gestärkt werden kann. Man erkennt jetzt: Wir sitzen alle im selben Boot. Deshalb finde ich die gemeinsame Aktion mit Luzern Tourismus «Jeder Hotelgast erhält bei Buchung eine CityCard im Wert von 50 Franken» ideal. Sie bringt Gäste in die Hotels und unterstützt den Handel.

Lässt sich der wirtschaftliche Rückgang in der Stadt quantifizieren?
Williner: Uns fehlen die Daten. Es fällt aber auf, dass sich Geschäfte, die nicht vom Tourismus abhängig sind, mehrheitlich positiv entwickelt haben. Allerdings gilt es immer noch die fehlenden Umsätze aus der Zeit des Lockdowns aufzuholen.

Perren: Ich kann nur die Zahl der Logiernächte für eine Einschätzung heranziehen. Wir haben bis Ende Juli gegenüber Vorjahr ein Minus von 65 Prozent.

Werden die internationalen Ausfälle durch vermehrte Schweizer Gäste kompensiert?
Perren: Leider nicht, auch wenn der Zuwachs an Schweizer Gästen beträchtlich ist. Wir verzeichnen im Juli 2020 rund 63 Prozent mehr Schweizer Gäste in den Luzerner Hotels als im Juli des Vorjahrs. Wenn wir aber das Gesamtbild anschauen, so trübt das wieder ein: Juli 2020 zeigt zu Juli 2019 einen Rückgang der Logiernächte um fast 60 Prozent.

Das ist eine verzweifelte Ausgangslage: Was tun?
Perren: Wir versuchen für nächstes Jahr die europäischen Märkte noch stärker anzusprechen – dies zusammen mit Schweiz Tourismus und weiteren Schweizer Städten in einer konzertierten Aktion.

Williner: Dieses Jahr habt ihr erstmals vermehrt die Regionen beworben, das Entlebuch, das Seetal und andere mehr. Zahlt sich das aus?

Perren: Auf dem Luzerner Land sehen wir viele Tagesgäste, aber nur bedingt ein Durchstarten in der Hotellerie, da die Hotelinfrastruktur meist begrenzt ist. Dennoch braucht es das Miteinander von allen: Stadt, Land, Zentralschweiz. Wir versuchen die gesamte Erlebnisregion aus Gästesicht zu vermarkten.

Solidarität scheint das Zauberwort zu sein.
Williner: Der Solidaritätsgedanke bringt tatsächlich viele Konsumenten dazu, vermehrt das lokale Gewerbe zu unterstützen. Und das, obwohl in derselben Zeit der Onlinehandel wieder um 35 Prozent zugenommen hat. Das heisst in der Schlussfolgerung: Es muss mehr Geld vorhanden sein, dass nun nicht in Reisen sondern in den Konsum fliesst.

In welchen Bereichen ist die Situation positiv?
Williner: Der Lebensmittelbereich hat sicherlich profitiert, aber auch der Textilbereich und Bereiche für Güter für den tägliche Bedarf haben zugelegt. Alle haben aber Respekt, ob dies so anhalten wird. Das Weihnachtsgeschäft wird darüber entscheiden, ob es im Rückblick wirklich ein Horrorjahr gewesen sein wird oder nicht.

Der Grosse Stadtrat von Luzern hat dem Luzerner Gewerbe ein Recovery-Programm und rund 200 000 Franken an Mitteln verwehrt. Es hätte das demnach gar nicht gebraucht?
Williner: Natürlich hätte es das gebraucht. Zudem wäre dies auch ein positives Signal der Politik gegenüber dem Detailhandel gewesen. Wir ständen vielleicht besser da. Wir hatten einige Projekte geplant, und wir konnten sie letztlich nicht alle umsetzen.

Tragen Sie das der Politik noch nach?
Williner: Ich befasse mich gar nicht mehr damit. Wir haben jetzt neue Aktivitäten und schauen vorwärts. Letztlich ist es so, dass wir teilweise auch an den Unterstützungsbeiträgen für den Tourismus profitieren. Geht es dem Tourismus gut profitiert auch der Detailhandel. Besucher und Gäste in dieser Stadt bringen Frequenzen, und diese sind wichtig für den Detailhandel. Schwierig ist im Rückblick nur, dass wir als Wirtschaftstreibende offenbar gerne übersehen oder negiert werden. Aber blicken wir nach vorne ins 2021 und arbeiten wir noch besser zusammen.

Wenn wir vom Abbau von Parkplätzen sprechen, dann hört Ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit aber auf?
Williner: Im Gegenteil. Wir wehren uns dagegen, das ist richtig. Aber wir haben die zeitlich beschränkte Fremdnutzung von rund vierzig Parkplätzen unterstützt und ja gesagt zur unkompliziert umgesetzten Idee, das heimische Gastrobetriebe ihre Bedienungsflächen im Freien erweitern dürfen. Das ist ein Zeichen der Solidarität.

Wer ist eigentlich der Treiber bei solchen Aktionen?
Williner: Im gesamten Lockdown war die Stadt nie ein Treiber. Private müssen es an die Hand nehmen.

Im Tourismus möchten Sie, Marcel Perren, zusammen mit anderen Schweizer Städten eine Hub-Strategie weiterbringen. Man soll also Luzern besuchen, hier übernachten und von hier aus auf Entdeckungsreisen gehen. Ist diese Strategie wirklich erfolgsversprechend?
Perren: Wir werden mit Zürich, Basel, Genf und Bern zusammenarbeiten. Die Städte bieten andere Emotionen und Events. Damit wollen wir auftrumpfen. Aber man darf sich nichts vormachen: Die Fernmärkte werden sich frühestens im 2022 erholen. Gäste aus Asien, Amerika und Australien werden erst dann wieder reisen. Das heisst: 2021 wird nochmals ein sehr hartes Jahr für viele Tourismusbetriebe. Wir rechnen auch nächstes Jahr mit einem Minus der Logiernächte von 40 bis 50 Prozent gegenüber 2019. Das wäre ein wenig besser als dieses Jahr, aber immer noch massiv schlecht. Dennoch, Luzern ist gut aufgestellt und wird das 2021 überstehen. Die Idee des Hubs, bedient durch ökologische Bahnreisen aus dem europäischen Ausland ist eine Antwort.

Williner: Grundsätzlich kommen die guten Unternehmungen durch die Krise. Auch wir gehen davon aus, dass die Geschäfte nächstes Jahr noch immer unter dem Jahr 2019 abschliessen werden. Die Möglichkeit zur Kurzarbeit ist glücklicherweise bis Ende 2021 verlängert worden. Das hilft. Der Handel wird leiden, aber er wird ein zweites Krisenjahr überstehen. Die Fragen sind: Wächst der Onlinehandel so rasant weiter und bleibt die regionale Attraktion.

Wir sehen bereits viele leere Erdgeschosse in der Innenstadt, die nicht zur Attrak­tivierung der Innenstadt beitragen. Geht es weiter so?
Williner: Diese Entwicklung wäre das schlim­mste, das passieren könnte. Die Mietzinse sind schon länger unter Druck. Sie werden in den kommenden Monaten sicherlich sinken. Ich habe grossen Respekt wegen leerstehender Verkaufsflächen. Allerdings hatte ich letzte Woche zwei schriftliche Anfragen von Leuten, die Erdgeschossflächen in der Stadt suchen. Das stimmt mich auch wieder optimistisch. Nicht grosse Flächen mit tausend oder mehr Quadratmetern sind gefragt, sondern vor allem kleinere Flächen. Für den Branchenmix könnte eine solche Entwicklung sogar eine Chance bieten.

Apropos Branchenmix: Wissen Sie heute, was wo leer steht und zu haben wäre?
Williner: In der Stadt existiert kein «Ladenflächen-Management» für den Verkauf oder Vermietung von Leerflächen. Niemand hat diese Übersicht, auch der Wirtschaftsbeauftrage der Stadt nicht. Wir wollen in Zukunft ein solches Managementtool mit allen Informationen aufbauen. Das ist klar Wirtschafts- und Standortförderung.

Perren: Wäre das nicht die Aufgabe der öffentlichen Hand – und wo ist hier die Schnittstelle zum Citymanager der Stadt, der jetzt angestellt werden soll?

Williner: Wir sind grundsätzlich für einen Citymanager in der Stadt. Das angesprochene Ladenmanagement ist eine der wichtigen Aufgaben. Klar, muss man das mit der Stadt koordinieren. Wir können das nur zusammen machen, denn wir brauchen zum Beispiel auch die Informationen über die Besitzverhältnisse, welche die Stadt beisteuern sollte. Aber wir wollen den Lead übernehmen. Wir werden aktiv sein müssen und etwas unternehmen.

Perren: Macht ihr das für die ganze Stadt?

Williner: Angedacht ist es im ersten Schritt für die Innenstadt. Danach reden wir mit den Quartieren und wachsen in einem zweiten Schritt. Auch das geht nur zusammen. Und oberstes Ziel ist immer die Erhöhung der Attraktivität der Stadt.

Wie macht man das?
Williner: Die Stadt muss leben. Tolle Events, Konzerte, Kultur, die Museen, Detailhandel und anderes tragen dazu bei. Wichtig ist aber auch, dass sich die Bewohnerinnen und Bewohner in dieser Stadt wohlfühlen. Es ist nötig, dass die wichtigsten Protagonisten an einen Tisch sitzen und sich darüber unterhalten, wie die Attraktion gesteigert werden kann. Das muss jetzt sein.

Wer muss an den Tisch?
Williner: Die LTAG, die Gastrovertreter, die Hoteliers, die Quartiervereine, die Wirtschaftsförderung der Stadt und natürlich wir, die City Vereinigung Luzern als Vertreter der Alt- und Neustadt.

Hat es das seit dem 16. März, dem Tag des Lockdowns, nicht gegeben?
Perren: Auf Kantonsebene ist eine Wirtschafts-Taskforce sehr schnell tätig geworden, zusammen mit Regierungsrat Fabian Peter. In der Stadt gab es einen Start, aber dann griffen die Ideen nicht beziehungsweise man fand damit einfach nirgendwo Gehör. In der Stadt sind wird derzeit sowieso in einer speziell herausfordernden Situation: Einerseits drückt Corona, andererseits will eine Mehrheit der Bevölkerung nicht mehr Gäste als zur besten Zeit im 2019. Das ist ein doppeltes Spannungsfeld, das Diskussionen dringend notwendig macht. Auf einem Marathon sind wir erst auf dem Kilometer 10. Nicht weiter.

Warum formiert sich in der Krise eine solche Gruppe mit der Stadt zusammen nicht von selber?
Perren: Die wirtschaftlichen Player sind unterschiedlich betroffen, wir haben es gehört. Die einen sind positiv, die anderen komplett ausser Gefecht gesetzt. Die Interessen divergieren stark. Würden alle gleichermassen leiden, dann wären wir schon längst am Tisch.

Williner: Deshalb braucht es wo immer möglich ein Miteinander, um die Zukunft zu gestalten: Dabei sind auch sekundäre Player wie zum Beispiel die Museumsnacht, die leider abgesagte Universiade, das Lilu, die Weihnachtsmärkte, die Weihnachtsbeleuchtung wichtig. Je mehr Besucher in Luzern sind, desto mehr besteht die Chance, dass wir alle profitieren können.