Zeigen wir doch Innovation im Kleinen

Wir wollen es in der Stadt Luzern und ihren umliegenden Gemeinden noch nicht wahrhaben. Fakt ist: Die Corona-Krise wird uns wirtschaftlich übermässig hart treffen. Wir haben uns umgeschaut, was zu tun wäre.

TEXT Bruno Affentranger
Lesezeit 4 Minuten

E

s ist eine seltsame, bleierne Zeit, die wir gerade erleben. Eine, die den Mut raubt, Lethargie wachsen lässt, mental müde macht. Zu lange schon stecken wir im Morast des Unwissens und des Ungewissen fest. Diese Zeit lässt sich vielleicht nur mit dem Gefühl am Vorabend des Ersten Weltkriegs Ende Juli 1914 vergleichen, als in der Stadt Luzern übers Wochenende die Wirtschaft einbrach. Die Touristen flohen vor und nach der Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien am 28. Juni 1914 in ihre Heimatländer, die Luzerner Hotels leerten sich. 11'000 Gästebetten standen innerhalb von zwei Tagen zur Disposition. Der überhitzte Immobilienmarkt implodierte. Die Spekulationen kamen zu einem Halt.

Auch damals wusste niemand genau, was das alles für die Zukunft der Stadt und ihres Umfelds zu bedeuten hatte. Es sollte bis tief in die Fünfzigerjahre dauern, bis sich die hiesige Wirtschaft und das gesellschaftliche Treiben von diesem Einschnitt wieder einigermassen erholten. Sinnbildlich steht dafür die Einweihung des ersten Hotels nach 1914 auf Stadtboden: Erst 1956 eröffnete das Hotel Astoria an der Pilatusstrasse. Dazwischen war Pause.

Heute ist das «Astoria» geschlossen und wartet auf die Rückkehr der Gäste. Heute ist der Einschnitt wahrscheinlich ebenso hart. Es fehlen gesicherte Daten. Aber die Signale aus den Unternehmen deuten in diese Richtung, auch wenn einzelne Bereiche Ausnahmen bilden und sogar bessere Umsätze erwirtschaften als vor Corona. Vergleichbar ist auch das Phänomen, dass gewissermassen von aussen und von niemandem gewollt herbeigeführt Veränderungen an uns herantreten, die unsere Alltage komplett neu formatieren. Man denke an die sprunghafte Zunahme des Arbeitens im sogenannten Home Office. Oder an den ebenso berüchtigten Begriff Social Distancing.

Auf einen Schlag sind die Grundanforderungen an Städte verändert: Nun sollen die Wege zwischen Arbeits- und Wohnort plötzlich kurz sein und kaum ein Bedürfnis mehr zum täglichen Pendeln aus der Zentralschweiz in den Raum Zürich existieren. Städte- und Raumplanung können nicht unmittelbar darauf reagieren, aber dennoch müssen sie diesen möglicherweise langfristigen Trend in ihre Projektierungen aufnehmen.

Plötzlich ist der öffentliche Verkehr zur Innovation gezwungen, nachdem er sich jahrzehntelang als bequemer Subventionsnehmer mit automatischem getriebenen Kundenzuwachs hat einrichten können. Jetzt sind nicht mehr Grossformationen mit dem Zwang zu Menschenansammlungen gefragt, sondern kleine Einheiten, die oft kursieren und nach Bedürfnis online gesteuerte Flexibilität leisten.

Sagen wir es doch offen
Man kann es auf einen Nenner bringen. Die Gesamtstimmung in der Privatwirtschaft ist angespannt bis schlecht, und sie wird schlechter werden.

Der Staat wird mit seinem gut gemeinten Unterstützungsfuror nicht alles ändern können. Aber genug geklagt.

Es wird an uns selber liegen. Nehmen wir es in die Hand. «Ich wollte mich nicht immer auf andere verlassen und einfach einmal wagen», sagt eine Unternehmerin in Luzern im Gespräch, stellvertretend für viele andere.

Nur, wie wagt man richtig?

Wir haben Beispiele aus dem Luzerner Alltag gesucht und mutige Einzelfälle gefunden (siehe Seiten 16 und 17). Denn darum geht es: Nicht viel Geldeinsatz ist gefragt, sondern Kreativität und Geschwindigkeit in der Anwendung von neuen Ideen, die spontan geboren werden und in Echtzeit getestet sein wollen. Wenn es nicht funktioniert, kein Problem – anders machen.

Der Wechsel der Sichtweise
Dazu aber ist ein mentaler Wechsel gefragt. Wer den Kopf in den Sand steckt, wird womöglich den Sonnenaufgang verpassen, aber bestimmt nicht neue Dinge anpacken. Zugegeben, es ist schwieriger geworden, sich ungezwungen ohne konkrete Absichten mit anderen Menschen zu unterhalten. Die Distanz macht den Austausch kompliziert. Viele Treffen sind abgesagt. Einige Menschen wagen den Schritt gar nicht in die Kleingruppe, auch nicht unter Wahrung der gesundheitlichen Sicherheitsbestimmungen. Gerade diese manchmal zufälligen Gespräche aber sind wichtig und kreieren neue Ideen, auf die man ohne den Augenöffner oder Input gar nicht erst gekommen wäre. Die schönsten, kleinen Geschäftsideen in diesen Zeiten entstehen aus Zufall – aber unter Einbezug der vollen Energie.

Und nicht immer muss man völlig neue Wege gehen. Eigentlich fast nie. Es gibt schon beinahe alles irgendwo in der Welt. Etliches an Erfahrungen ist schon erlitten und verdaut. Weshalb also nicht kopieren und auf den Luzerner Markt anwenden? Auch das kann ein Weg sein. Weshalb sich nicht antizyklisch verhalten? Weshalb nicht auf die neusten Daten der HSLU-Studie (siehe Box) setzen und darauf vertrauen, dass Schweizer Produkte eine nie gesehene Renaissance und Nachfrage erfahren? Noch nie waren regionale Güter so gefragt wie jetzt – das lässt sich aufgrund der Studie ablesen. Darauf sollten Produzierende, aber auch Dienstleistende setzen.

Alles, was nicht in der mentalen Leere und gesellschaftlichen Paralyse verharrt, ist in diesen besonderen Zeiten gut.

Also los.

Home Office bleibt – die Region regiert

Was denken und machen Konsumenten wirklich in diesen Zeiten? Die Faktenlage ist mager. Die Hochschule Luzern, Abteilung Wirtschaft Institut für Kommunikation und Marketing, will das ändern und hat eine im Frühling eine interessante Langzeitstudie auf den Weg gebracht, die bis ins Jahr 2022 dauern soll. Die Studie der Co-Projektleiter Dominik Georgi und Marcel Zbinden gibt Auskunft darüber, ob Corona die Bevölkerung nachhaltiger macht oder nicht. Und sie untersucht insbesondere das Konsumverhalten vor, während und «nach» Corona. Das lässt Rückschlüsse für Unternehmende zu, für Städteverantwortliche und für Konsumenten selber. Denn sie alle tappen derzeit im Dunkeln. Man spürt, aber man weiss nicht so genau.

Dazu haben die Studienleiter mit ihrem Team und weiteren Unterstützern während bisher zwei Perioden über tausend Menschen in der Schweiz befragt (in der Zeit vom 9. bis 16. April und vom 19. bis 26. Juni). Die Resultate sind nicht wirklich überraschend, aber sie beweisen, dass gewisse bisher subjektiv wahrgenommene Phänomene tatsächlich existieren.

 

Die wichtigsten Erkenntnisse:

  • Einkaufsverhalten: Die Diskussionen in der Coronazeit haben das Bewusstsein für gesunde Ernährung in der Bevölkerung erhöht. Der Trend zum Kauf von regionalen Produkten hat sich zudem nach dem Lockdown nochmals verstärkt. «Aus der Schweiz» ist sogar noch stärker verbreitet als je zuvor und als «Aus der Region».
  • Gesundheitsverhalten: Die Zahl der Menschen, die auf ihre Gesundheit achten und mehr Zeit in der Natur verbringen, ist gegenüber der Zeit vor der Corona-Krise angestiegen.
  • Mobilitätsverhalten: Aktuell nutzt die Bevölkerung wieder vermehrt das Auto und den öffentlichen Verkehr. Insbesondere der öffentliche Verkehr ist von 11 Prozentpunkten auf 49 Prozentpunkte hochgeklettert. Auffällig ist, dass viel mehr Menschen das Fahrrad nutzen als vor der Coronazeit.
  • Arbeitsverhalten 1: Die Menschen haben das Gefühl, wieder produktiver zu sein. Während dem Lockdown gaben nur 50 Prozent an, dass sie häufig produktiv bei der Arbeit sind. Nach dem Lockdown ist diese Zahl auf 61 Prozent gestiegen.
  • Arbeitsverhalten 2: Es ist erstaunlich, wie die Sorge um den Arbeitsplatz abnimmt. Nur gerade 28 Prozent geben an, dass sie sich häufig oder ab und zu Sorgen wegen ihres Arbeitsplatzes machen. Während dem Lockdown waren es 32 Prozent.
  • Arbeitsverhalten 3: Das Home Office gibt nach und halbiert sich, aber es bleibt. Während des Lockdowns arbeiteten 47 Prozent von Zuhause aus, danach sind es noch 25 Prozent.

Mehr online unter: hslu.ch/de-ch/hochschule-luzern/ueber-uns/medien/medienmitteilungen/2020/04/20/studie-zum-konsumverhalten-waehrend-coronakrise/

Oder noch einfacher online unter: stadtsicht.ch