«Es muss nicht alles digital sein – aber vieles wird es werden»
Alle reden davon. Was aber hat es mit der «Digitalisierung» auf sich? Peter Delfosse, CEO von AXON in Luzern, der Spezialist für digitale Transformation ist, erklärt das Phänomen und sagt, warum KLARA ein führendes Ökosystem ist.
Peter Delfosse und KLARA
Peter Delfosse ist CEO von AXON, einem weltweit tätigen Unternehmen, das sich auf die digitale Transformation spezialisiert und seinen Hauptsitz in Luzern hat. Die AXON-Gruppe wurde seit 2008 gezielt auf die Herausforderungen der digitalen Transformation aufgebaut. AXON bietet heute ein einzigartiges Leistungsportfolio an, welches Unternehmen hilft, sich den Herausforderungen der Zukunft stellen zu können.
Dazu gehört KLARA, ein Ökosystem, das bisher in der Schweiz aufgebaut wird, das aber «eher früher als später» eine internationale Ausweitung erfahren wird. Lohnabrechnungen, Versicherungen der Mitarbeitenden, Arbeitszeugnisse, Krankheits- und Unfallmeldungen oder Buchhaltung rauben Kleinunternehmern wie auch Privathaushalten viel Zeit und Nerven. KLARA hat sich mit diesem Problem auseinandergesetzt und eine innovative Lösung gefunden: KLARA nimmt weit mehr als nur den aministrativen Aufwand ab und macht so das Büro einfach.
STADTSICHT Spezial: Peter Delfosse, warum setzen Sie sich täglich mit dem Thema Digitalisierung auseinander?
Peter Delfosse: Ich tue das gerne, weil das Thema spannend und faszinierend ist. Ich bin auf meinem eigenen beruflichen Weg reingewachsen und habe einen guten Teil der Digitalisierung in der Wirtschaft am eigenen Leib miterlebt. Ich spüre, dass gerade jetzt eine neue Stufe der Entwicklung beginnt, die mit noch grösserer Geschwindigkeit ablaufen wird.
Wo stehen wir denn heute mit unseren gesammelten Fähigkeiten, was alles digital möglich ist?
Eine schwierige Frage.
Nehmen wir einen Hundertmeterlauf als Vergleichsgrösse: Auf welcher Meterzahl stehen wir mit der Digitalisierung heute?
Wir sind noch nicht ganz bei der Zwanzigmetermarke. Wir laufen mit anderen Worten noch immer ganz am Anfang. Wobei, man muss immer unterscheiden zwischen den technischen und den theoretischen Möglichkeiten, die bereits bestehen würden. Zwischen dem, was gesagt und dem, was wirklich gelebt wird. Der Graben zwischen diesen beiden Positionen ist schon enorm gross. Heute wäre sehr viel mehr möglich, als wir tun und anwenden. Bis die technischen Möglichkeiten aber Eingang in unser reales Leben gefunden haben, wird es nochmals 10 oder 15 Jahre gedauert haben.
Wer oder was ist der Entschleuniger?
Unsere persönlichen Gewohnheiten stehen einer Beschleunigung oft im Wege. Das ist nicht nur schlecht und verhindert Fehlentwicklungen – ganz klar. Aber auch die bestehenden Strukturen bremsen, die nicht auf eine Digitalisierung ausgelegt sind. Weiter hemmt uns Menschen unser Sicherheitsbedürfnis: Wir mögen es allgemein nicht, Bestehendes zu verlassen und uns Neuem zuzuwenden, das wir noch nicht ganz verstehen und dessen Konsequenzen wir nicht abschätzen können. Aber verstehen Sie mich richtig: Man sollte und darf sich nicht einfach unbedarft in jedes technologische Abenteuer stürzen. Das kann einem teuer zu stehen kommen.
Sind wir in der Zentralschweiz besonders konservativ in unserem Denken und in der Annahme von neuen Entwicklungen?
Möglicherweise ist die Zentralschweiz per se konservativ in gewissen Themen und Bereichen. Ich kenne nicht alle Regionen in der Schweiz – wahrscheinlich sind die regionalen und kantonalen Unterschiede klein.
Also hinkt die Zentralschweiz in Digitalisierungsthemen nicht hintennach?
Sie hinkt nicht hintennach. Nehmen Sie das Beispiel des Kryptovalley in Zug. Da ist die Zentralschweiz vorne dabei, mehr noch, ganz an der Spitze. In anderen Bereichen existiert vielleicht gar keine Nachfrage, weil wir hier auch nicht die entsprechende Industrie sehen.
Digitalisierung ist ein Wort, das in aller Munde ist. Ein anderes ist das Ökosystem. Was ist darunter zu verstehen?
Im wirtschaftlichen Sinn ist es ein Verbund von Unternehmen, die auf eine gemeinsame Wertschöpfung ausgerichtet sind. Man tut zusammen Dinge und verdient gemeinsam Geld damit.
Das ist nicht neu. Kooperationen oder Zusammenarbeitsformen gab es schon immer.
Stimmt. Neu ist dies: Der Nutzen in einem Ökosystem ist nicht einfach nur die Addition der einzelnen Leistungen, sondern eine Multiplikation. Das Resultat muss immer besser sein, als wenn dies einzelne erarbeitet hätten.
Im Sinn von: 2 plus 2 ergibt 7?
Zum Beispiel. Auch 5 ist schon ein gutes Resultat.
Was ist der Unterschied zwischen einer Plattform und einem Ökosystem?
In der digitalen Welt haben wir bisher von Plattformen gesprochen. Wir haben einfach in einem ersten Schritt Produkte aus einer physischen Welt in die digitale Welt übersetzt – digitalisiert also. Sie müssen sich einen digitalen Shop vorstellen, in dem jetzt alle Güter zu finden sind, die auch in Ihrem physisch und real existierenden Shop zu finden sind. Das ist und war eine Plattform. Jetzt haben alle gemerkt, dass die grosse Errungenschaft in der digitalen Welt nicht in der Technik steckt, sondern dass die Daten die Wertschöpfung liefern. Bei allen Produkten, in denen Daten eine Rolle spielen, stellt sich die Frage, ob man anhand der Daten ein anderes Produkt kreieren kann.
Können Sie das genauer erklären?
Nehmen Sie das Beispiel einer Versicherung: Ich kann heute eine Police abschliessen und erwerbe damit ein Produkt. Ich kann dasselbe Produkt auch digital erwerben. Es wird dieselbe Versicherungsleistung mit derselben Police-Nummer sein, einfach online. So richtig spannend wird es erst ab diesem Zeitpunkt. Ein Versicherungsunternehmen könnte mir eine andere Versicherung anbieten, wenn sie mehr über mein Verhalten wüsste. Wenn sie die entsprechenden Daten erheben, und wenn ich diese dem Versicherungsunternehmen zur Verfügung stellen würde. So könnte für mich ein massgeschneidertes Produkt entstehen. Jetzt sprechen wir plötzlich nicht mehr von Digitalisierung, sondern von digitaler Transformation. Man kann also plötzlich in der digitalen Welt ein Produkt anbieten, das es in der physischen Welt so nicht geben kann, weil es dort nicht möglich ist, die nötigen Daten zu erheben.
Das scheint doch ein wahnsinnig weiter Entwicklungsschritt zu sein.
Dem ist so. Diese Transformation bedingt eine Weiterentwicklung der Fähigkeiten eines Unternehmens und auch neue Produkte, die es physisch so nicht geben kann. Dieser grosse Schritt steht jetzt bevor. Wir werden die Verbindung meines digitalen Zwillings mit einem digitalen Produkt sehen.
Ökosysteme bedingen demnach den Zugang zu Daten. Steht dem der Datenschutz im Widerspruch?
Es ist ja seltsam: Wenn man vom Geschäft mit Daten spricht, dann herrscht immer die Meinung vor, dass jemand anderes das Geschäft mit meinen Daten macht. Das muss aber nicht so sein. Das Bedürfnis der Menschen wächst, die Kontrolle über ihre digitalen Zwillinge zurückzuerlangen. Das schlechte Gefühl über Datenmissbrauch ist mittlerweile sehr gross – die Datenregulierungen laufen deshalb alle in Richtung Zurückgewinnung der Kontrolle. Eine Folge wird sein: Menschen bestimmen wer, zu welchem Zweck welche Daten erhalten darf. Das ist in unserem Unternehmen KLARA die Maxime. Die Daten gehören den Kunden oder den Usern. Wir sind nur die Treuhänder, die den Datengebrauch moderieren, so, dass der User davon einen Gewinn hat.
Ist das durchzusetzen?
Selbstverständlich. Das bisherige System kehrt sich soeben um. Mittlerweile wollen viele Unternehmen die User-Daten gar nicht mehr gewinnen und halten, weil sie hohe Datenschutzvorgaben haben und Daten entsprechend pflegen müssen. Diesen Aufwand scheuen viele Unternehmen. In der idealen Welt der digitalen Transformation holen die Anbieter oder Unternehmen beim Kunden nur die Daten, die sie brauchen. Dies nur für so lange, wie man die Daten für eine gewinnbringende Aktivität benötigt.
Da gibt es aber ein Problem: Heute ist das Vertrauen zwischen Unternehmen als so genannten Datenkraken und den Usern stark beschädigt. Wie soll das also gehen?
Dieses Vertrauen ist komplett beschädigt. Das ist die Folge einer Digitalisierung, die im weitgehend ungeregelten Raum und in «Wildwest»-Manier stattgefunden hat. Alle haben bisher gerade mal das gemacht, was technisch möglich gewesen ist, ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Überlegungen oder gemeinschaftlichen Nutzen. In den letzten Jahren ist der Wille international gewachsen, Regelungen zu finden. Zum Schluss entscheiden die User, wie weit sie gehen wollen.
Wer also KLARA Daten zur Verfügung stellt, damit hilfreiche Anwendungen zurückgespielt werden, tut dies mit der Sicherheit, dass ihm oder ihr die Daten jederzeit gehören?
Absolut richtig.
Wie garantiert KLARA dies?
Wir analysieren die Daten nur treuhänderisch. Sie gehen gar nie über den Treuhänder hinaus zum Anbieter von Produkten oder Dienstleistungen.
Ist das der spezielle Vorteil von KLARA?
Es ist die Umsetzung unseres Versprechens, dass die Daten den Usern gehören und bei ihnen bleiben.
Wie weit sind Sie mit der Entwicklung mit KLARA auf dem Hundertmeterlauf?
Verglichen mit anderen Ökosystemen sind wir sehr weit fortgeschritten. Wir haben bereits ein komplettes Ökosystem, das funktioniert und das nicht einfach eine Plattform von bestehenden Produkten ist. Wir sind nicht exklusiv für eine Branche tätig, und wir teilen die technischen Möglichkeiten mit allen, die sich andocken wollen. Im KMU-Bereich wachsen wir stark, jetzt legen wir auch im Konsumentenbereich spürbar zu. Wir wollen den sicheren Weg unter allen Anbietern inklusive Verwaltungen und unter den Usern und Konsumenten schaffen.
Sind die Verwaltungen die schwierigsten Partner?
Gewachsene Strukturen sind immer bremsend. Es ist für die Verwaltung mit all ihren gesetzlichen Vorgaben nicht einfach, aus ihrer physischen Welt auszubrechen. Aber Verwaltungen unterscheiden sich sehr. Die einen sind fortschrittlich, andere sind konservativ oder sogar in einer Abwehrhaltung verharrend.
Braucht es auch deswegen digitalswitzerland Zentralschweiz, bei dem Sie initiierend mittun?
Man kann viel von Digitalisierung oder vom WorldWideWeb sprechen. Am Ende entscheiden Menschen und Unternehmen, die immer lokal sind. Man kann es einfach sagen: Digitalisierung findet nicht auf PowerPoint-Präsentationen statt. Sie findet statt, indem irgendwer irgendwo eine Idee in Software übersetzt. Es muss etwas getan werden, und es muss Kompetenz vorhanden sein. Wir verfügen in der Zentralschweiz über ausgezeichnete Bildungsinstitute, Hochschulen, wir sehen eine bescheidene Software-Industrie, wir kennen ein «Kryptovalley», und wir haben die Chance, Ideen in Realität umzusetzen. Es muss doch nicht sein, dass wir in der Zentralschweiz die letzten sind, die die eigenen Möglichkeiten nutzen. Es braucht auch Leute, die fragen, was Digitalisierung im täglichen Leben und konkret zum Beispiel in einer Stadt Luzern oder in einer Gemeinde Rothenburg für Zwecke erfüllen könnte. Für die Antwortfindung braucht es immer lokale Ansprechpartner oder Foren.
Digitalisierung ist nicht alleine Technologieentwicklung?
Digitalisierung beginnt, wenn sich Menschen in strategischen Führungsverantwortungen überlegen, wie die Welt in fünf oder zehn Jahren aussehen wird. Es muss nicht alles digital sein. Aber vieles wird digitaler werden. Diesen Teil muss man diskutieren und beschreiben – und dafür ist digitalswitzerland Zentralschweiz ein gutes Gefäss.